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KUNST Stücke: Rasterfahndung

Die Radikalität von Kunst kann gerade in der strengen Formalisierung, in konzentrierter Reduktion und Abstraktion liegen. Junggeun Oh, 1970 in Seoul geboren, befasst sich mit architektonischen Leerstellen, die er in horizontaler Blickrichtung zwischen den Häusern wahrnimmt.

Die Radikalität von Kunst kann gerade in der strengen Formalisierung, in konzentrierter Reduktion und Abstraktion liegen. Junggeun Oh, 1970 in Seoul geboren, befasst sich mit architektonischen Leerstellen, die er in horizontaler Blickrichtung zwischen den Häusern wahrnimmt. Genau wie mit den Zwischenräumen beim Blick nach oben, wo der Himmel sichtbar ist. Diese Lücken, Ergebnis des Zusammenspiels diverser Architekturen, werden von Oh zum Gegenstand der Malerei erkoren. Auf seinen Wegen durch Bremen oder Berlin fotografiert der Künstler auffällige Perspektiven und macht sie zur Grundlage seiner Bilder, mit denen er aktuell in der Galerie Son (Mauerstraße 80, bis 13. Juli) zu sehen ist. In manchen kleinformatigen Gemäldeserien (Preise: 600–1000 Euro) verdeutlicht er den Prozess der Abstraktion, indem er die Schemen des Fotos immer schwächer werden lässt, bis es gänzlich verschwindet. Übrig bleibt eine vermeintlich abstrakte Form, die tatsächlich fest in der Wirklichkeit verankert ist. Bei den großen Tableaus (Preise: 13 000 –18 000 Euro) ruhen die merkwürdig lang gezogenen, gezackten und manchmal spitzeckigen Formen wie leuchtende Inseln im dunkelroten Meer. Dieses lässt Oh aus vielen dünn aufgetragenen und verschiedenen monochromen Ölschichten entstehen, bis er den von ihm gewünschten, manchmal gar ins Schwarze driftenden Farbton erzielt, auf dem sich der Zwischenraum scharf umzirkelt mit dickem Auftrag und einem leuchtenden Rot ästhetisch abhebt.

Noch formalisierter ist das Prinzip von Matten Vogel, Jahrgang 1965, dessen „KW Serie“ in der Galerie Kuckei + Kuckei (Linienstraße 158, bis 28. Juli) trotz seiner regelmäßigen Strukturen keine Kontemplation erzeugt. Sondern eher eine beunruhigende Wirkung hat. Im Herbst letzten Jahres beschloss Vogel, zwei Jahre lang wöchentlich nach einer festgelegten Systematik und Größe jeweils ein Bild (Öl und Bleistift auf Fiberboard, 39 x 49 cm, je 2800 Euro) zu fertigen. Jede Woche trägt Vogel mit Bleistift ein Raster von Quadraten und Kreisen auf. Die Kreise malt er anschließend mit Ölfarbe aus. Ein Schaffensprozess, oszillierend zwischen Selbstgeißelung, Versenkung und Trance. Titel des jeweiligen Bildes ist die Nummer der Kalenderwoche seiner Entstehung. Der erste Eindruck verheißt symmetrische Anordnungen schwarzer Punkte auf weißem Untergrund. Entlang der Galeriewände zieht sich ein Fries mit bislang mehr als 20 solcher KW-Bilder. Die Augen nehmen die Punkte wie ein sich auflösendes Bild wahr. Sie suchen nach Halt in einem Motiv und fokussieren vergeblich: Das Raster verschwimmt, denn außer der Reihung der Punkte ist nichts zu erkennen. Haben sich die Augen an die Irritation gewöhnt, machen sie allerdings feine Unterschiede aus: kleine Bildstörungen, Leerstellen und aus der Reihe tanzende Punkte, die an die Ausfälle digitaler Bildschirme erinnern. Fast schon in einem Rausch der Automation malt der Künstler wöchentlich Punkt für Punkt aus, doch der Alltag fordert seinen Tribut. Hier ein Anruf, dort ein Termin – die Arbeit muss unterbrochen werden. Solche Momente führen zu Störungen und „Fehlleistungen“ und schreiben sich als undechiffrierbare Reflexe aus Matten Vogels Leben in das Bild ein. Die KW-Serie hat somit eine autobiografische Note und jedes Bild ist das Konzentrat einer Woche im Leben des Künstlers.

Matthias Reichelt

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