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KUNST Stücke: Weltvermesser

Thea Herold schaut auf Bilder, die das globale Chaos ein wenig ordnen

Zur Eröffnung der neuen Galerie Opdahl war es nachtschwarz vor den Fenstern und die Hütte proppenvoll. Gestern war derselbe Raum mittags gleißend hell. Jetzt wurde sichtbar, was der norwegische Künstler Per Dybvig in seiner Berliner Debütausstellung auf drei übergroßen, überbordenden Papierbögen hinterlassen hat. Biestige Berliner Mitschriften – die gezeichneten Outcuts eines Großstadtalltags –, verwirrende, verrückte und doch hilfreiche Vermessungen des Alltags, der ihm während seiner Berliner Aufenthalte begegnet ist. Er trifft den Nerv dieser Stadt. Einfach so mit Zeichenstiften. Dybvig skizziert freihändig, sicher und schnell. Das sieht von Weitem irgendwie ungelenk aus, ist aus der Nähe betrachtet schon wieder genial. Er strichelt sich durch Zeichenstile, pixelt hier, schraffiert da. Einmal entschied er sich, an einer Ampel zu skizzieren. Immer wenn sie auf Grün sprang, sah er den Menschen, die ihm entgegenkamen, ins Gesicht und zeichnete mit. Seine Tableaus der Momente hat er sich später auf Flächen bis zu gut sieben Quadratmetern Größe wieder zu eigen gemacht. Vertrautes, so mit fremden und offenen Augen gesehen, kriegt konzentrierte Schärfe und oft mehr Kontur. Es lohnt, nach den Blättern der Mappe „Berlin 2000“ zu fragen (Lindenstraße 35, bis 27. Oktober).

Auch bei Rina Banerjee geht es bei ihrer ersten deutschen Einzelausstellung in der Galerie Volker Diehl um fantasiereiche Ortserkundungen. Das Fremde im Eigenen und umgekehrt. Die Künstlerin sichtet die Szene imaginärer Wirklichkeiten und vermisst dort, wo wir links und rechts vom Hypothalamus surreale Traumwelten während der REM-Phase besuchen. Ein Reich voll wabernder Klischees, irrational Exotischem und dramatisch Extravagantem. Die Künstlerin stammt aus einer indischen Familie. Sie lebt heute in New York, verbrachte viele Jahre in London und hat ursprünglich Maschinenbau studiert. Heute, als Master of Fine Arts mit Abschluss in Yale, konstruiert sie in ihren Assemblagen wie in den Zeichnungen die Geisterwelten einer allgemeinen postkolonialen Ich-Ausdehnung. Und möglicherweise ist das ihre blumig-bissige Kritik am ewig rasenden Weltenbummler. Oder es handelt sich um die dramatisch inszenierte Verschmelzung von inneren Parallelwelten, die ihre Wurzeln im fernen Asien, ihre mobilen Standorte im wilden Westen und ihren aktuellen Aufenthalt in den Transiträumen der großen Flughäfen dieser Welt hat (Lindenstraße 35, bis 23. Oktober).

Thea Herold

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