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KUNST Stücke: Wilde Herzen

Julia Brodauf stolpert durch Farbpfützen und über Stoffberge.

Harte Schale, weicher Kern: Die Malerei von Guillaume Bruère im Ausstellungsraum des Sammlers Harald Frisch (Halle am Wasser, Invalidenstraße 50/51, bis 6. März) wuchert und tobt knallbunt bis düster auf Leinwänden, Zeichnungen und Skulpturen in den Raum. Letztere sind aus Pappmaché geformt und aus Fundstücken regelrecht zusammengezimmert. Für den 1976 geborenen Künstler aus dem französischen Westen, der in Nantes und Poitiers studiert hat und seit sechs Jahren in Berlin lebt, ist die Malerei eine Aufgabe, die er sich ständig neu stellt. Ein Abenteuer, das er mit Wucht und Energie erforscht und erobert.

In großen Gesten und vielen kleinen Schritten nähert sich Bruère dabei dem Kern seines jeweiligen Anliegens – und das kann von Vorbildern aus der Kunstgeschichte bis hin zu alltäglichen Schlagzeilen reichen. Der Maler und Bildhauer türmt Farbe, Linien, Buchstaben und Stofffetzen zu vielschichtigen Werken auf. Aus den dichten Farbspuren lösen sich hier ein Gesicht, dort ein Reiter, ein Panzer oder ein Schädel oder macht am Ende eines sichtbaren Kampfes mit der Malerei ein Leuchtturm das, was ein Leuchtturm wesenhaft tun soll: Er leuchtet, gelb, vor einer braun vibrierenden Fläche (3600 Euro). Das titelstiftende Hauptwerk der Ausstellung „Parabol der Blinden“ lässt eine Gruppe bunt bemützter Blinder sich gegenseitig führen und zitiert damit ein Breughel-Werk. Vom Original geblieben ist vor allem eine vorsichtig tastende Hand am Abgrund (14 200 Euro).

Auch Simon English schließt in seiner Thematik nichts aus: Er wirft in einer wilden Orgie Verweise auf Popmusik, die Literatur, die Kunstgeschichte, die Politik, die Geschichte und sein persönliches Geschick auf die Leinwand und schafft daraus ein opulentes, aber kontrolliertes Chaos auf gleichförmigen Leinwänden. Der britische Künstler, der 1959 in Berlin geboren wurde, aber in London aufwuchs und lebt, begann seine Karriere als virtuoser Zeichner kleinteiliger Sammelsurien in den Neunzigern im Umfeld der Saatchi Collection und kann sich des Rückhalts großer internationaler Sammlungen gewiss sein. Und so wendet er sich in den Arbeiten der aktuellen Ausstellung „English Painting (below the belt)“ in der Galerie Volker Diehl (Lindenstraße 35, bis 27. Februar) selbstbewusst der flächigen Malerei zu und stürzt sich damit in eine Art Liebesaffäre.

Tatsächlich versinken diese Bilder in einer fleischfarbenen Körperlichkeit, die zwischen Auge und Brustwarze nicht mehr unterscheidet. Die Malerei ist sogar so nah am Sujet, dass auch Innen und Außen des gemalten Körpers verschwimmen. English löst Gesichter, Gliedmaßen und Organe zu surrealen Gebilden auf, die eigenständige Verdauungssysteme zu sein scheinen und gleichzeitig – da steckt doch ein Porträt im Magen – auch Diagramme. Denn die eigentümliche Bildwelt bevölkert und belegt er mit einer Flut einzelner Zeichnungen von Figuren, Gesichtern, Tieren und einem Schwall aus Textergänzungen und Erläuterungen. So geht English wieder auf Distanz zum Rausch. Popmusik liegt in den Bildern.

Julia Brodauf

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