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KUNST Stücke: Wundertüten

Michaela Nolte staunt über die Ideen einer jungen Künstlergeneration

Der Realität und ihrem Abbild widmen sich momentan zwei Ausstellungen junger Künstler, von denen die meisten erstmals in Berlin zu sehen sind. Im ausgeklügelten Verhältnis von Öffnung und Lichteinfall kreiert Markus M. Zimmermann ganze Clubs aus Tablettenschachteln, Kemenaten aus gelochtem Pressspan und Kristalllüster aus Plastikflaschen, während Erik Meyenberg in seiner komplexen Video-Garten-Partitur zum Spaziergang durch Rosa Luxemburgs Gedankenwelt einlädt. Der „Schein“ trügt in der gleichnamigen Ausstellung der Galerie Ostermeier auf so hintersinnige wie amüsante Weise (Brunnenstraße 10, bis 6. Oktober). So zeichnet Jovana Popic die Reise der sowjetischen Raumsonde „Lunik“ in einem Wundertüten-Teleskop nach. Ausgangspunkt sind ihre Kohleskizzen von stellaren Konstellationen, die die kroatische Künstlerin abfotografiert und als Dia-Installation arrangiert hat. Denn Bilder von der 1959 gestarteten Sonde existieren nicht: „Kamera war nicht an Bord“ steht zwischen zwei Sternenhaufen, und „Lunik“ verschwand irgendwann im All. Daneben verwandelt Alex Dorfsmann Schneebeeren, besser bekannt als Knallerbsen, zum Sinnbild atomistischen Denkens. Mit seiner Foto-Serie „Seleción Natural“ schafft der Mexikaner eine verblüffende Evolutionstheorie: Ursuppe urkomisch auf einer Raufasertapete, der Urknall als Schneeflocken über der Spree (500–8000 €).

Flirrende Perspektivwechsel auch bei den fünf Künstlern aus London, mit denen die Galerie Frühsorge (Heidestraße 46–52, bis 25. Oktober) einmal mehr zeigt, dass die Zeichnung ihre konventionellen Bahnen verlassen kann. Damien Roach etwa kratzt an den Grenzen des Mediums: Ein museumsüblicher Thermo-Hydrograf zeichnet die Temperatur und Luftfeuchtigkeit während der Ausstellung auf. „Schwarzwald“ nennt Roach sein Zeichenobjekt schlicht nach dem Namen des Herstellers – weil Schwarzwald einfach perfekt in die Landschaftsausstellung „Nowhere is here“ passt. Wo immer auch dieses Nirgendwo in Reece Jones’ Kohlezeichnungen angesiedelt ist – es leuchtet dunkel, rätselhaft und verführerisch. Er überzieht seine großen Formate mit pastosen Kohleschichten und trägt sie mit einem Radierer partiell wieder ab. Acrylfirnis verleiht den schwarzen Flächen die Oberfläche von Vinyl. Dazwischen bröckelt die menschenleere Landschaft in den weißen Strukturen. Rissiges Eis? Aufkrachende Steppe? Baumgerippe stechen aus dem Boden. In dieser unwirtlichen Welt markiert eine winzige Hütte Behaglichkeit. Doch wer diesen Ort bewohnt, bleibt so geheimnisumwoben wie das Nordlicht, das Jones in Geraden, Kreisen und Linien durch seine Bilder streifen lässt (2000–20 000 €).

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