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Kunst & Markt: Das neue Babel

Der nächste Globalisierungsschub erfasst Berlins Galerien – die eine geht nach Togo, die andere eröffnet mit Kunst aus Kairo.

Erneut rückt die Kunstwelt zusammen. Weithin sichtbares Zeichen für den jüngsten Globalisierungsschub ist der Goldene Löwe der diesjährigen Venedig-Biennale für den besten Länderpavillon, den auf Anhieb der Debütant Angola gewann. In Berlin wiederum haben mit Kader Attia, Anish Kapoor und Imran Qureshi zeitgleich drei Künstler große Einzelschauen gezeigt, deren Arbeiten unter dem Stichwort „postkolonial“ firmieren. Und die Berlin Biennale hat jetzt einen Leiter aus Lateinamerika: den Kolumbo-Kanadier Juan A. Gaitán aus Mexiko.

Der Schub macht sich auf dem Markt bereits bemerkbar. In New York vertritt Galeristin Tanya Bonakdar neben Olafur Eliasson und Thomas Scheibitz nun auch den in Benin geborenen Künstler Meschac Gaba. In London soll im Oktober parallel zur Frieze eine neue Kunstmesse eröffnen, die „1:54 Contemporary African Art Fair“, und in Berlin hat die Galerie Nolan Judin soeben Arbeiten von jungen Künstlern aus Afrika gezeigt. Da kommt etwas in Bewegung, das sich für Berliner Galerien auf die vorläufige Formel bringen lässt: Naimah Schütter kommt, Peter Herrmann geht und Matthias Arndt zieht nun auch privat von Australien nach Singapur.

Schütter startet mit einem Paukenschlag. Die Galeristin, seit 2012 unter dem Namen Liebkranz in der Auguststraße ansässig, zeigt nun in eigener Galerie ab September Arbeiten von Khaled Hafez aus Kairo, einem Star, der an den Biennalen von Venedig, Havanna, Singapur teilgenommen hat. Sein Auftritt bei Schütter ignoriert Bedenken, wie sie in den Galerieverbänden zu hören sind: Wer Kunst aus dem Süden vertritt, sieht sich oft konfrontiert mit instabiler Landespolitik, langen Transporten, Hürden bei Visa und Zoll, Sprach- und anderen Verständnisproblemen. Der damit verbundene Aufwand kann mittelständische Galerien, ohnehin unter dem Druck globaler Galeriekonzerne, an ihre Leistungsgrenzen bringen.

Doch Schütter verneint. Auf Schwierigkeiten sei sie nicht gestoßen. Kairo ist ein altes Kunstzentrum und Hafez ein Profi. Zwei große Gemälde sind bereits eingetroffen: Leinwände mit Farbschichten, in die der Künstler Umrisszeichnungen geritzt und Drucke collagiert hat. Jäger und Soldaten begegnen hier angestrengten Bodybuildern und Joggerinnen. Hafez karikiert die Klischees, die Norden und Süden voneinander haben. Doch so paradigmatisch die Arbeiten für eine Galeristin aus einer ägyptisch-deutschen Familie wirken, auf Kunst aus Nordafrika will sich Naimah Schütter nicht spezialisieren: Herkunft soll keine Klammer werden für ihr Programm.

Das unterscheidet Schütter von Peter Herrmann. Rund 13 Jahre hat der Galerist aus Stuttgart in Berlin Arbeiten von Künstlern aus Afrika gezeigt, von Nicole Guiraud, Jürgen Schadeberg und Bill Kouélany. Er ist bestens vernetzt, empfing Horst Köhler, und doch macht er an diesem Wochenende Schluss in Berlin. „Wer Kunst aus Afrika vertritt, der hat die höchsten Flug- und Transportkosten, die größten Schwierigkeiten bei den Visa und das größte Risiko“, sagt er. Herrmann zieht nach Lomé. In der Hauptstadt von Togo manifestiere sich eine neue Sammlerschicht mit Interesse an Kunst.

Tatsächlich ist auf dem großen Kontinent viel geschehen. Digitale Medien haben das Kunstschaffen befeuert, Auktionshäuser haben sich wie in Lagos gegründet, in Jaunde vernetzen sich die Kunstkritiker über das dortige Goethe-Institut. Lesen kann man darüber unter anderem auf den Seiten von contemporary And (www.contemporaryand.com), einem zweisprachigen Internetmagazin aus Berlin für Kunst in Afrika und der Diaspora. Das Institut für Auslandsbeziehungen hat es gegründet, derzeit wird das Magazin subventioniert. In Deutschland treibt vor allem die öffentliche Hand den transkontinentalen Austausch voran, wie mit der Berufung Okwui Enwezors ans Münchner Haus der Kunst und „TURN“, dem Fonds für künstlerische Kooperationen zwischen Deutschland und afrikanischen Ländern der Bundeskulturstiftung. Von einem Trend will Julia Grosse, Chefredakteurin von contemporary And, dennoch nicht sprechen: Auch nach der von Enwezor verantworteten Documenta 11 habe es einen Globalisierungsschub gegeben, der nicht von Dauer gewesen sei.

Globale Beziehungen brauchen langen Atem und politisches Feingefühl. Bevor Matthias Arndt nun nach Singapur geht, hat er zwei Jahre in Australien verbracht und dort mit einem Projektraum in Singapur bereits das Feld für eine langfristige Niederlassung bereitet. Hier stellen asiatische, europäische und nordamerikanische Künstler gemeinsam aus. In seiner Berliner Stammgalerie zeigte er derweil Arbeiten von Künstlern aus Südostasien. Zum Beispiel aus Indonesien, das 1998 aus der Militärdiktatur in eine Demokratie aufgebrochen ist, ohne bisher seine Vergangenheit durchleuchtet zu haben. Ein Neuling kann da schnell in alte Konflikte geraten. Arndt arbeitet jedoch eng mit Experten zusammen. So kuratierte der Künstler, Kurator und ehemalige Regimekritiker Enin Supriyanto für Arndt Berlin im Frühjahr die Überblicksschau „Sip!“ mit Kunst aus Indonesien, schrieb Texte für das dazugehörige Buch und führte Gespräche mit dem Publikum. „Ich bemühe mich stark um inhaltliche Vermittlung“, sagt Arndt.

Das ist auch nötig. Beim transkontinentalen Transfer lauert eine Art doppelte Ethnofalle. Wünschte sich das hiesige Publikum früher von Kunst des Südens einen exotischen Touch, so ist nun genau dieser verpönt: Auf keinen Fall sollen Elemente traditioneller Kultur zeitgenössische Arbeiten in den Ruch von Ethnokunst bringen. Doch viele Künstler bestehen inzwischen darauf, regionale Themen und Materialien zu bearbeiten, ohne Rücksicht auf die Vorbildung westlicher Betrachter – ein Selbstbewusstsein, das auf der neuen Stärke ihrer Heimatmärkte gründet, wie Arndt meint.

So zeigt Agus Suwage aktuell bei Arndt Berlin seine Arbeiten auch nicht im White Cube, sondern in einem theatralisch beleuchteten Saal. Von den dunklen Gemälden strahlt Gold, auf einer Pyramide aus leeren Bierflaschen steht ein verschleiertes Skelett mit Schwert und wirft dramatische Schatten an die Wand. Was wie eine Präsentation im ethnologischen Museum wirken kann, kommentiert jedoch eine Bühnenkultur, die auf Java zum Alltag gehört. Für das hiesige Publikum und Käufer bedeutet der aktuelle Globalisierungsschub: Eingespielte Maßstäbe gelten nicht mehr. Das wird auch Zeit.

Galerie Arndt, Potsdamer Straße 96; bis 31. 8., Di–Sa 11–18 Uhr

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