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Lebensadern. In der Installation erzählt die Künstlerin von ihren Vorfahren und auch der Gefährdung des Waldes.

© Galerie Neugerriemschneider/Jens Ziehe

Kunst und Markt: Spur der Borkenkäfer

Die menschliche DNA ist mit den Bäumen verknüpft. Das zeigt Antje Majewskis verzweigte Ausstellung „Der Wald“ in der Galerie Neugerriemschneider.

Auch das ist ein Wunderwerk der Natur – jenes fein verästelte Labyrinth, das Borkenkäfer in einen geschwächten Baum bohren. Von dem Haupttunnel gehen Nebengänge ab, in exakten Mustern angelegt wie eine filigrane Grafik. „Buchdrucker“ und „Kupferstecher“ heißen die destruktivsten Exemplare. Die harmlosen Namen täuschen darüber hinweg, dass die Käfer ganze Wälder vernichten können.

In ihrer verzweigten Ausstellung „Der Wald“ in der Galerie Neugerriemschneider folgt Antje Majewski der Spur des Borkenkäfers und rekonstruiert gleichzeitig ihren eigenen Stammbaum. Im letzten Jahr spannte sie mit der Kollektivschau „How to talk with birds, trees, fish, shells, snakes, bulls and lions“ im Hamburger Bahnhof den Bogen von dem Baum in einem Künstlerhof im senegalesischen Dakar bis hin zu den Schrebergärten in Berlin. Es waren die afrikanischen Künstler, die sie ermutigten, sich auf ihre Ahnen zu besinnen.

Bodenbeschaffenheit und Käferbefall werden seit Jahrhunderten erforscht

Schon vor sechs Generationen erforschte einer ihrer Vorfahren, Karl Leberecht Krutzsch, an der ersten Universität für Forstwissenschaften im sächsischen Tharandt Bodenbeschaffenheit und Käferbefall im Erzgebirge. Er war Zeuge, wie zu Ehren des Universitätsgründers 80 Eichen gepflanzt wurden. Für einen schwarzhumorigen Moment begegnen sich in der Ausstellung Weltuntergang und Feiertagskater, Botanik und Familiengeschichte.

„Ich wurde wahrhaft knill und musste mich zu Hause übergeben“, schreibt Krutzsch an seinen Sohn über den Festakt. Generationen später filmt Antje Majewski den Eichenwald heute und kehrt so zurück zu den Wurzeln – denen des Waldes und ihren eigenen.

In einem zweiten Film spricht sie mit einem Waldbesitzer, einem Forstwissenschaftler und einer Försterin im Staatsforst. Die drei berichten nüchtern von einer Katastrophe, dem schlimmsten Käferbefall seit Menschengedenken. Nach der Trockenheit der zwei letzten Sommer sind die Bäume so geschwächt, dass ihre Stresshormone Millionen von Borkenkäfern anziehen. Vier bis sechs Wochen brauchen die Tiere bis eine neue Generation heranwächst.

In der Klimakrise rächt sich das Anlegen von Monokulturen

Die Rindenbrüter legen ihre Fressgänge an den Versorgungsadern der Bäume an, zwischen Rinde und Stamm, wo die nährende Zuckerlösung von der Wurzel zur Krone fließt. So erklärt sich das feine Muster, das den lebenswichtigen Leitungsbahnen des Baumes folgt. Weil die Förster und Waldbesitzer nicht mehr mit dem Tempo des Befalls Schritt halten können, werden die Brutstätten der Käfer nicht abtransportiert. Die nächste gierige Käfergeneration stürzt sich auf die Nachbarbäume. Als Notmaßnahme schützen die Förster das geschlagene Holz mit Netzen.

Jetzt rächt sich die Monokultur. Beim Aufforsten müssen wahrscheinlich fremde, widerstandsfähige Bäume wie die Douglasie gepflanzt werden. Das Bild vom Wald wird sich wandeln. „Die Natur hätte in Jahrtausenden gemacht, was wir jetzt in kurzer Zeit verändern müssen“, glaubt Antje Majewski. In der Ausstellung erkundet die Künstlerin die eigene DNA, die eng mit der des Waldes verknüpft ist.

Der Wald schien als mythologischer Ort unverrückbar

Ihr Urgroßvater fotografierte den Wald, ihre Großmutter malte ihn. Die Bilder gehören zum Erbe Antje Majewskis. Aber natürlich weist der lapidare Titel über die individuelle Beziehung hinaus. Für eine ganze Region schien der Wald als mythologischer Ort unverrückbar. Zwar drohte in den achtziger Jahren schon einmal das Waldsterben. Ozonloch und saurer Regen konnten aber durch gezielte Maßnahmen rückgängig gemacht werden. An diese Erfolge will Antje Majewski erinnern.

[Galerie Neugerriemschneider, Linienstr. 155; bis 8. Februar, Di–Sa 11–18 Uhr]

Weil aber die globale Klimakrise unvergleichlich komplexer ist, stellt sie auch die Künstlerin vor die Herausforderung, einen eigenen Spin zu finden, der ihre Arbeit von der Dokumentation oder dem Aktivismus unterscheidet. Im Hamburger Bahnhof lag die Antwort in der weltweiten Vernetzung von Künstlerinnen und Künstlern. Bei Neugerriemschneider hängt die Suche nach dem kreativen Dreh eher als Frage in der Luft, als erhöhte Achtsamkeit, als besorgte Zuwendung.

Um ein Bild für die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu zeigen, hat Antje Majewski auf einem großen, rindenbraunen Querformat das Gangsystem der Borkenkäfer nach einem Foto aus dem Internet gemalt (Preis auf Anfrage). „Passagen“ heißt dieses Wunderwerk der Natur. Im Frühjahr will sie mit einem Waldbesitzer eine Wertholzwiese mit wilden Obstbäumen pflanzen. „Ich will“, sagt Antje Majewski „dass diese Welt auch noch in hundert Jahren schön ist.“

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