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Das "Museum für Abgeschobene" von der Künstlerin Barbara Caveng.

© Kunstasyl

Kunst von Geflüchteten im Museum Europäischer Kulturen: Heimat bauen

Das Museum Europäischer Kulturen zeigt in der Ausstellung "daHEIM: Einsichten in flüchtige Leben" künstlerische Arbeiten von Geflüchteten. Dabei geht es nicht um strenge Analysen zum Thema Flucht, sondern um partizipative Kunst, die bewegt und erschreckt.

Gewehrschüsse zerfetzen die Luft. Zwei Männer stehen auf einem Balkon und sprechen unaufgeregt miteinander. Neben ihnen trocknen Hemden und Hosen auf einem Wäscheständer, vor ihnen, eine Straße weiter, brennt ein Haus. Es wurde von einer Bombe getroffen. Eine schwarze Rauchwolke steigt in den Himmel über der irakischen Stadt Mossul auf.

Der Iraker Yasir Abdelkadir hat diese Szene gefilmt, bevor er auf der Suchliste von IS-Terroristen landete. Als die Kämpfer im Juni 2014 vor den Toren der Stadt stehen, schickt seine Mutter ihn fort. Er flieht über den Seeweg von der Türkei auf die griechische Insel Kos, über Mazedonien nach Deutschland. Sein Video, abgespielt auf einem Smartphone-Display, ist die Begrüßung in der Ausstellung „daHEIM: Einsichten in flüchtige Leben“ im Museum Europäischer Kulturen.

Was die Besucher hier erwartet, ist keine strenge wissenschaftliche Aufarbeitung zum Thema Flucht und Migration, keine Aufsätze, keine Analysen. Es ist partizipative Kunst. Ein Schritt, den das Museum für Europäische Kulturen bewusst gegangen ist. „Uns war früh klar, dass wir zu der momentanen Migrationsdebatte Stellung nehmen wollen“, erklärt die Ko-Direktorin Léontine Meijer-van Mensch. Aber das wollte man eben nicht durch eine vorgegaukelte „Objektivität“, sondern durch die Dynamik der Kunst, durch Empowerment erreichen.

Im Ausstellungsraum begegnen sich Religionen, Fluchtgeschichten und Kunstformen gleichermaßen

Deshalb hat man sich für die auf ein Jahr konzipierte Schau mit der Initiative „Kunstasyl“ zusammengetan. Die von der Deutschschweizer Künstlerin Barbara Caveng gegründete Gruppe arbeitet seit vergangenem Jahr gemeinsam mit Geflüchteten an Kunstprojekten. Die meisten wohnen in einem Heim in Spandau. Bisher waren es eher kleinteilige Aktionen: Aus einem Bauwagen haben sie ein „Museum für Abgeschobene“ gebaut und Möbel für den Vorplatz ihres Heims. Das ganze Untergeschoss des Dahlemer Museums zu bespielen, ist ein großer Schritt. Für beide Seiten. Und einer, der sich gelohnt hat: In den fünf Monaten des Malens, Hämmerns und Zeichnens haben sie die geisterhafte Leere in ein pulsierendes Archiv ihrer Erinnerungen und Erlebnisse verwandelt, einen Ort, in dem sich Religionen, Fluchtgeschichten und Kunstformen gleichermaßen begegnen.

Menschenfressende Wellen schwappen auf den Wänden der Ausstellungsräume, gezeichnet in Grafit oder in roter und blauer Wandfarbe gemalt. Auf ihren Kämmen treiben Menschen wie Ameisen. Bettgestelle, die aus Asylunterkünften stammen, erheben sich zu skulpturartigen Trümmerhaufen. Einige haben ihre Fluchtrouten nachgezeichnet, wie die irakische Jesidin Ina Sado, die 2014 vor einem erneuten Genozid fliehen musste. Sie schließt sich nach der Ankunft in Deutschland ein, weint, kotzt ihren Schmerz aus, bis sie fast ins Krankenhaus muss. Erst mit dem Malen setzt ein Heilungsprozess ein. Hier sieht man die Raketen der Zerstörung, die tristen, überfüllten Lager, den Stacheldraht der Zäune. Daneben hat sie Schuhe montiert, aus denen das Blut der elfmonatigen Flucht rinnt.

Starke Frauen und Geschichten, die Mut machen

Zwischen dem Schrecken finden sich aber auch Lichtblicke. In einem Raum begegnet man auf großen Leinwänden zwei starken Frauen, Kumrije Isufi und Valbona Cani. Sie sind zu Ikonen stilisiert, als Marilyn Monroe und Mona Lisa. Und nicht weit davon ist der Syrer Serdar Yousif mit seiner Frau und seinen Kindern zu sehen, auf deren Nachzug er monatelang gewartet hat. Er lächelt.

Es sind Geschichten wie diese, die am meisten beeindrucken. Und ein Satz, der aus all den prägnanten, poetischen Zitaten, die sich über den Boden und die Wände winden, in seiner einfachen Schönheit heraussticht. Er stammt vom Eritreer Bereket Kibrom. Zehn Jahre lebte er mit seiner Familie im Lager in der eritreisch-äthiopischen Diaspora, bei seinem ersten Fluchtversuch wurde er in Ägypten drei Monate eingesperrt. Dann hat er es erneut probiert: Über Libyen ist er nach Italien geflüchtet und schließlich nach Berlin gekommen. Lange Zeit war er der einzige Afrikaner im Heim in Spandau. Keiner verstand seine Sprache Tigrinisch. Bis zu dem Moment, als zufällig eine Frau aus seiner Heimat zum Projekt stieß. Sie übersetzte, was er sagte. „Ich empfinde keine Schwere“, steht jetzt da. „Mein Leben ist normal.“ Kibrom hat auf die Wiese des Museums ein Agedo aus Stroh geflochten. Ein Dach in der Tradition seiner Heimat. Es ist ein Zeugnis seiner Ankunft und genauso eins der Veränderung, die sie für uns mit sich brachte.

Museum für Europäische Kulturen, bis 2. 7. 2017, Di–Fr 10–17 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr

Giacomo Maihofer

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