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Kunstaustausch: Das Prinzip Potlatch

Dresdens Museen und das Museum von Alert Bay in Kanada tauschen ihre Schätze aus. Warum das Geben und Nehmen revolutionäres Potential birgt.

Wenn es nur die Arithmetik der Organisation wäre: Ich gebe dir etwas, damit du mir etwas gibst. Also keine Leihgaben ohne Gegengabe. Nach diesem Muster tauschen Museen ihre Schätze rund um die Welt, schicken Teile ihrer Sammlungen gegen viel Geld rund um den Globus, ein gutes Geschäft mit der Kunst. Jede Großausstellung im internationalen Kunstzirkus funktioniert heute so.

Das Projekt, das die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden nun mit dem U’mista Museum in Alert Bay, British Columbia, erdacht haben, ist schon deshalb aufregend anders, weil hier zwei von Größe und Rang, von Kultur und Setting himmelweit voneinander entfernte Institutionen einen ebenbürtigen Dialog aufnehmen. Hier die Staatlichen Kunstsammlungen mit ihrer Rüstkammer, der Porzellansammlung, dem Grünen Gewölbe, eines der berühmtesten Museen europäischer Kunst – dort das räumlich wie sammlungstechnisch weit weniger umfangreiche, in seinem Bereich aber mindestens so bedeutende Museum in Alert Bay, das in einem Holzhaus die Masken des indigenen Volks der Kwakwaka’wakw bewahrt, die für die Zeremonie des Potlatch heute noch verwendet werden. Schon der deutsche Forscher Franz Boas, der um die Jahrhundertwende zu einem Gründungsvater der amerikanischen Ethnologie wurde, hatte über diese Tradition berichtet.

Die Schwierigkeiten, die das Dresdner Projekt bedeutet, mag abschätzen, wer hört, wie die Rüstkammer-Kuratorin Jutta Charlotte von Bloh vom Weg erzählt, den ihre barocken Schätze in das auf einer drei Fahrstunden von Vancouver entfernten kleinen Insel gelegene Museum von Alert Bay nahmen – von konservatorischen Prolemen in dem feucht-kalten Klima gar nicht erst zu sprechen. Deutlicher noch wird das revolutionäre Potenzial des Vorhabens, wenn Claus Deimel, Direktor des Ethnologischen Museums in Dresden und Initiator des Projekts, erzählt, wie viele Gespräche nötig waren, bis die Museumsleute in Alert Bay sich mit dem Gedanken anfreundeten, die Hälfte ihrer Sammlung ins Ausland zu verschicken. Immerhin haben die Masken des Potlatch im 20. Jahrhundert eine leidvolle Geschichte der Konfiszierung, Verstreuung und Restitution hinter sich und sind für die Kwakwaka’wakw heute noch lebendige Zeugen der Verbundenheit mit den Vorvätern. Dass sie nun im Dresdner Lipsius-Bau erstmals in Europa zu sehen sind, ist eine Sensation, nicht nur für Ethnologen.

Doch der Anspruch von Claus Deimel ist noch höher. Der Potlatch, jene Zeremonie des Gebens und Schenkens, ist unter anderem von Marcel Mauss als Gegensystem zur kapitalistischen Logik beschrieben worden. Nicht umsonst haben die protestantischen Missionare Ende des 19. Jahrhunderts die Geschenkorgien verboten. Wenn Deimel diese Technik nun in Verbindung setzt zum Luxusleben am barocken Hof Augusts des Starken, zum System der glanzvollen Feste und der verschwenderischen Hingabe an Schönheit und Kunst, ist das nicht nur ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Es ist die Grundfrage nach menschlichen Grundkonstanten von Machterwerb und Machterhalt, von Güterverteilung und Güterkreislauf, die beide Kulturen enger zusammenbindet, als es die geografische Weltenferne glauben ließe.

Wenn von August dem Starken kolportiert wird, er habe nach einem prachtvollen Dinner das benutzte Silberbesteck in die Elbe werfen lassen (nicht ohne allerdings mit verborgenen Netzen dafür zu sorgen, dass sich die Kleinodien wieder bergen ließen), wenn man die Festarchitektur des Dresdner Zwingers betrachtet oder die im Grünen Gewölbe zur Schau gestellten Juwelensammlungen, dann wird deutlich, dass dieses System des offensiv zur Schau getragenen Reichtums nicht allein aus einer Verschwendungssucht des Barockfürsten entsprang, sondern mit Bezug auf römische Vorbilder, die dem Volk Brot und Spiele versprachen. Nicht viel anders funktioniert der Potlatch, der nicht nur ein Familienfest mit bis zu 1000 Beteiligten ist, sondern auch ein System der internen Vergewisserung des Zusammenhalts wie der Machtdemonstration und der Konfliktlösung nach außen hin. Die Geschenke der Zeremonie werden durchaus mit realen Erwartungen verbunden, Erwartungen an Privilegien, Machterhalt und Länderzugewinn. Nicht umsonst nennen die Kwakwaka’wakw ihre Zeremonialgüter „Regalia“, also Königsgüter.

Die Kwakwaka’wakw beziehen ihren Herkunftsmythos aus der sie umgebenden Tierwelt, zu der der Mensch nach seinem Tod wieder zurückkehrt. Die Tiere der Wälder, die Bären, die Wölfe, die Vögel, aber auch die Tiere der fischreichen Fjorde und Buchten, der Schwertwal, die Ente, sind in Masken verkörpert, die ausgesprochen modern wirken. Nicht umsonst hat die Formensprache der Kwakwaka’wakw eine große Affinität zum Design, wie etwa die Designerin Corrine Hunt deutlich macht, die die Olympiamedaillen für die Olympischen Winterfestspiele in Kanada 2010 entwarf. Von ihr gestaltete Hände als Symbol des Gebens und Nehmens bilden denn auch das Leitmotiv zu der im Lipsius-Bau zurückhaltend-wirkungsvoll inszenierten Ausstellung. Die barocke Pracht mit Kronleuchter, sanftblauer Seide und Porzellan, die stattdessen in das aus Zedernholz gebaute Museum in Alert Bay eingezogen ist, wirkt in diesem Rahmen mindestens so fremdartig und setzt mit Wappen, Tierdarstellungen, Sonnensymbolen dennoch auf vergleichbare Motive.

Verschwendung – so könnte man auch das 1,2 Millionen teure Dresdner Ausstellungsvorhaben bezeichnen. Das Geben und Nehmen haben dabei alle Beteiligten, in Dresden wie in Alert Bay, erfahren. Wenn Claus Deimel, mit durchaus kritischen Untertönen, sein Unterfangen auch als Test für die im Berliner Humboldt-Forum geplanten Ausstellungen anführt, wird deutlich, mit welchem Aufwand die beteiligten Museen werden rechnen müssen, wollen sie wirklich ernst machen mit einem Dialog der Weltkulturen. Wenn es gut läuft, wird man belohnt, indem die eigenen Bestände, wie nun in Dresden, plötzlich auf erhellende Weise lebendig werden. Denn auch das lehrt der Potlatch: Kultur ist nicht merkantiles Nützlichkeitsdenken, sondern lustvolle Verschwendung. Sonst hätten wir sie nicht.

Dresden, Kunsthalle im Lipsiusbau, bis 21.8. U’mista Cultural Center, Alert Bay, Kanada, bis 28.8., Katalog 34,90 €

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