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Karl Krumbholz: Das vegetabile Ornament, Dresden 1879. Tafel Nummer 14.

© Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin / Saturia Linke

Kunstgewerbemuseum Berlin: In voller Blüte

„Form Follows Flower“: Das Berliner Kunstgewerbemuseum präsentiert florales Design – und erkundet seine eigenen Wurzeln.

150 Jahre wird das Kunstgewerbemuseum alt. Doch wo liegen seine Wurzeln? Die erste einer Reihe von Ausstellungen rund um das Jubiläum gräbt in den Tiefenschichten nach. Keimzelle der Gründung war eine Krise. Um das preußische Kunstgewerbe stand es nämlich mies, auf den Weltausstellungen sah man sich zum Schlusslicht degradiert. Der Absatz stagnierte, da niemand die aus historischen Stilzitaten gemixten „Scheußlichkeiten“, so Sabine Thümmler, Direktorin des Kunstgewerbemuseums, haben wollte. 1867 wurde der Gründungsverein aktiv, um zeitgenössischen Entwerfern und Fabrikanten frische Schöpfungs- und Wachstumsimpulse zu geben. Zurück zur Natur also, zur Pflanze! Das propagierte jedenfalls Moritz Meurer, einer der ersten Lehrer an der Schule für Gestaltung, die dem Museum angeschlossen war.

Was seine Studierenden damals als Vorlagen auf den Tisch bekamen, das breitet nun die Ausstellung „Form Follows Flower“ aus. Aus dem kreativen Humus des UdK-Archivs förderte Co-Kuratorin Angela Nikolai vom FU-Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung“ das vegetabile Anschauungsmaterial zutage. Eine Silberdistel reckt auf einem Studienblatt markant ihre stachelbesetzten Konturen. Eine Glockenblumenknospe besticht durch perfekt geometrische Struktur. Und der geriefelte Stengel des Myrrhenkrauts ähnelt aus der Nähe betrachtet einer kannelierten antiken Säule.

Aus dem Lehrbuch der Natur extrahierte Meurer zusammen mit seinem Assistenten Karl Blossfeldt Strukturen und Formen, die sich als Frischzellenkur für das erschöpfte Kunstgewerbe anboten. In exakten Quer- und Längsschnitten, Um- und Aufrissen analysieren die Vorlagenblätter das botanische Potenzial. Damit wollte Meurer keine sklavischen Nachahmer heranbilden, sondern die Studenten zu eigenständigen Entwerfern qualifizieren. Seine illustrierten Lehrbücher und großformatigen Schautafeln wurden an Gewerbeschulen in ganz Preußen ausgeliefert, sogar plastische Pflanzenmodelle konnte man per Katalog bestellen.

Karl Blossfeldt formte Pflanzenteile naturgetreu in Wachs nach

Diese floralen Skulpturen verblüffen durch Präzision und Schönheit. Und genau für diese 3D-Objekte brauchte Meurer seinen später berühmten Assistenten Blossfeldt. Der gelernte Modelleur formte die Pflanzenteile naturgetreu in Wachs nach, vergrößerte sie und ließ sie in Bronze gießen. Sogar das moderne Galvanisierungsverfahren erwies sich als fruchtbar. Damit ließen sich selbst feinverästelte Pflanzenteile in einer Elektrolytlösung mithilfe von Strom metallisch ummanteln und plastisch haltbar machen. Einige dieser fragilen Stücke sind ausgestellt. Vor allem die mediterrane Flora in Rom plünderte das Meurer-Team. Immerhin hatten schon antike Künstler ihre Kapitelle und Ornamentfriese anhand von Akanthusblättern, vulgo Bärenklau, geformt. Daran galt es anzuknüpfen.

Mit seiner Begeisterung fürs Biomorphe befand sich Meurer international in bester Gesellschaft und mittendrin in einem Strom reformorientierter Gestalter des aufblühenden Jugendstils. Auch in England und Frankreich entstanden illustrierte Vorlagenwerke, in denen ornamentale Blattranken, Blütenstengel und Fruchtstände nur so wuchern.

Die "Anemone" stammt von Catharina Sonnenberg, 2015.
Die "Anemone" stammt von Catharina Sonnenberg, 2015.

© Catharina Sonnenberg/SMB

Verblüffend aber ist, wie akribisch man in Berlin den Pflanzen auf die Pelle rückte. Meurer tauschte sich mit Fachkollegen aus der Botanik aus, besaß deren aktuelle Publikationen. Als Leihgaben aus dem Naturkundemuseum schlagen jetzt täuschend echt bemalte Pflanzenmodelle und Feuchtpräparate den interdisziplinären Bogen. Der junge Karl Blossfeldt griff in Meurers Gestaltungslabor auch schon zum Fotoapparat, um Pflanzendetails festzuhalten. Berühmt wurde er später durch seine 1928 publizierten „Urformen der Kunst“. Dass diese formstrengen Pflanzenfotos heute als Ikonen der Neuen Sachlichkeit gelten, liegt an ihrem unnachahmlich nüchternen Stil: Kein Wunder, sie waren ja als Studienmaterial gedacht. Darin lag der Keim des Neuen.

Die Flora inspiriert auch aktuelles Möbeldesign

Die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums wurde 1921 ausgegliedert. Seither gingen Ausbildung und Sammeln getrennte Wege. Sabine Thümmler will den Austausch wieder fördern. Designstudenten haben nun eine ganze Wand voll feinliniger Pflanzenstudien beigesteuert. Sie nahmen Meurers Vorlagen als Anregung. Dass es an der UdK überhaupt wieder ein „Zeichenlabor“ gibt, geht auf Anregung der Studierenden zurück. Aber auch in kurzen Multimediasequenzen animierten sie spielerisch „Pflanze in Bewegung“.

Wie die Flora, frei von jeder Jugendstil-Attitüde, aktuelles Möbeldesign inspiriert, lässt sich in der Designabteilung des Museums erkunden. Jüngster Zugang ist ein Set modularer Beistelltischchen vom Berliner Studio Wertel Oberfell. Das kühl geometrische Kunststoffmöbel wurde per 3D-Drucker generiert. Aber seine Stützen verästeln sich wie Baumkronen.

Bis 14. Januar, Di – Fr 10 – 18 Uhr, Sa/So 11 – 18 Uhr. Katalog 152 S., 34,90 €

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