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Überall Vögel. Die Galerie VI aus Kopenhagen widmet ihren Messestand geflügelten Tieren.

© Joakim Züger

Kunstmesse Chart: Die Feder eines Adlers

Wichtigste Plattform der aktuellen skandinavischen Kunstszene: die Kunstmesse Chart in Kopenhagen.

Die Vögel. Nicht von Hitchcocks Horrorklassiker ist die Rede, sondern von der ebenso humorvoll wie obsessiv kuratierten Präsentation „The Birds“ am Stand der Kopenhagener V1 Galerie. Jesper Elg, Gründer und zusammen mit Mikkel Grønnebæk Direktor, hat 79 Bilder und Objekte zusammengetragen, die das mythenträchtige Federvieh als Lieblingsmotiv vieler Künstler vom dänischen Übervater Asger Jorn bis zum amerikanischen Maler Donald Baechler zeigen.

„Vögel sind Ursymbole des Menschen“, sagt der Galerist, „jeder von uns hat seine geflügelte Lieblingskreatur“. Und jeder kann in dieser geschnäbelten Menagerie fündig werden, kann zum Beispiel das Gemälde „Meditation Eagle“, den etwas zerrupften „Meditationsadler“ des in New Yorker Künstlers Robert Nava für 13 000 Dollar erwerben oder das brandneue Werk „Countdown to Ecstasy“ des in Los Angeles beheimateten Künstlers Wes Lang (205 000 Dollar). In der Manier trashiger Cartoons lässt der Künstler, den auch Kanye West sammelt, drei Enten wie Putti über einem Schädel mit Sonnenbrille schweben, darunter steht in Versalien: „When God Smiled“.

Lächeln können die meisten Teilnehmer der siebten Chart, der von fünf dänischen Galeristen gegründeten „führenden Messe der nordischen Region“, wie sie sich selbst definiert, schon zur Preview. Mit 39 Tophändlern aus Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Island residiert sie als hochkarätige Boutiquenmesse für drei Tage in der herrschaftlich barocken Kunsthal Charlottenborg, in der sonst bedeutende Wechselausstellungen gezeigt werden und ein Teil der Kunstakademie untergebracht ist. Von der ersten Stunde an strömen einheimische wie internationale Kuratoren, Museumsdirektoren und Sammler in die beiden Hallen im Obergeschoss und reservieren zahlreiche Arbeiten. „Kaufen dürfen sie erst am darauffolgenden Eröffnungstag“, merkt Direktorin Nanna Hjortenberg an, die unermüdlich für das „einzigartige“ Konzept der Messe wirbt, „die nordische Kulturidentität zu stärken und dabei gleichzeitig globale Relevanz zu haben“.

Verzicht auf klassische Stände

Den ehrgeizigen Anspruch lösen die Galeristen dank ihrer Künstler ein und auch dank des Verzichts auf klassische Stände. Jeweils zwei Händler inszenieren ihre Werke in einem Raum als kuratierte Miniausstellung mit fließenden Grenzen und vermeiden damit die Fixierung auf das jeweils typische Programm einschließlich des reflexhaften Abfragens von Preisen. So werden „anregende Dialoge jenseits von Konkurrenzdenken möglich“, meint Galeristin Marina Schiptjenko von der Galerie Andréhn-Schiptjenko aus Stockholm. Einer ihrer Künstler, der 1985 geborene Schwede Mark Frygell, steht wie zahlreiche seiner Kollegen vor den eigenen Gemälden. Auf dem größten Querformat „Fermenting Janus“ von 2019 mixt er ebenso frech wie brillant Instagram-Ästhetik mit Elementen, die an Picasso und Henry Moore erinnern. Der Preis ist mit 17 000 Euro moderat, kleinere Formate beginnen ab 1500 Euro.

Generell bewegen sich die Preise zwischen 1000 und 20 000 Euro. Entsprechend günstig sind die Standpreise, so Hjortenberg: „Das Maximum beträgt 12 000 Euro, manche zahlen weniger. Wir sind eine Nonprofit-Messe, wir müssen keinen Profit machen. Deshalb können wir die Galerien aufgrund ihrer Qualität einladen“. Und man kann Entdeckungen machen, so unter anderem bei der schwedischen Cecilia Hillström Gallery, die dem 1966 in Malmö geborenen Per Wizén eine Soloshow widmet. Er de- und rekonstruiert Reproduktionen historischer Kunstwerke wie die Zeichnungen, die der britische Künstler John Tenniel zu Lewis Carrolls weltberühmtem Kinderbuch „Alice im Wunderland“ machte. „Ich untersuche, wie uns dieser Stoff bis heute prägt“, erklärt der Künstler.

Auch die Designszene spielt eine Rolle

Viele Sammler der Region, darunter die Norweger Rolf Hoff und EivindAaland, die Schweden Marika und Carl-Gustaf Wachtmeister oder die Dänen Ole Faarup, Leif Djurhus, Carl Christian und Janne Aegidius oder Steen Bakman schätzen die Messe als Kreativpool jüngerer Talente. Zu ihnen zählt auch der in Schweden geborenen Konzeptkünstler Runo Lagomarsino bei Nils Staerk, dessen Eltern aus Argentinien fliehen mussten. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich mit Migration und ihren Folgen, so mit „One flew over the cuckoo’s nest“, einem Wandobjekt aus einer stacheligen Metallleiste. Er hat sie in regelmäßigen Abständen mit einer historischen Postkarte gespickt, die ein monumentales Denkmal von Christopher Columbus zeigt. Ein Highlight ist auch die 1996 entstandene, 35-teilige Fotoarbeit „Day for Night“ des dänischen Konzeptkünstlers und Fotografen Joachim Koester am Stand von Nicolai Wallner (175 000 Euro). Sie dokumentiert Christiania, eine alternative Wohnsiedlung in Kopenhagen, die 1971 von Aktivisten gegründet wurde und deren Denken das Land bis heute mitprägt. Wallner ist zuversichtlich, für die Arbeit eine bedeutende Institution zu finden.

Mit der finanziellen Unterstützung ihrer Sponsoren, darunter dem Hauptpartner Nykredit Bank und privaten Stiftungen wie der Statens Kunstfond will Chart nicht nur die zeitgenössische bis jüngste Kunst-, sondern auch die Architektur- und Designszene Nordeuropas populärer machen. So spiegeln fünf Pavillons in den Innenhöfen der Kunsthalle vielversprechende architektonische Visionen wider, am überzeugendsten „Snug as a Bug in a Rug“ des Architekten-Duos Mathias Bank Stigsen und Andreas Körner. Sie haben eine budenähnliche Konstruktion aus Jute und Latex gebaut, deren Fassade die Besucher streicheln sollen und in der sie „grüne Burger“ der Burgerkette Gasoline Grill bestellen können. Im nahen, historischen Den Frie-Kunstzentrum zeigen 17 Designstudios und Galerien ein Potpourri aus Vasen, Lampen, Tellern, Masken und anderen Objekten wie der Neonskulptur „Leaking Fountain“.

Undicht ist an der Chart nichts. Die gleichzeitig im Viertel Refshaleon stattfindende neue Enter Art Fair mit rund 30 Galerien folgt nicht auf die abgesagte Code Art Fair. Nur Julie Alf bleibt als Messedirektorin dieselbe und hat einige Galeristen, darunter König, Kukje und The Hole als die prominentesten, für das neue Format gewonnen. Hier gilt: alles offen.

Chart Art Fair, Kunsthal Charlottenborg, Kopenhagen; bis 1.9., www.chartartfair.com & www.enterartfair.com

Eva Karcher

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