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Die New Yorker Künstlerin Hannah Black zeigt in ihrem Video „Bodybuilding“ Muskelmänner als Analogie zur Gesellschaft.

© Stoschek Collection

Kunstsammlerin Julia Stoschek: Du sollst dir ein Bildnis machen

Medien sind ihre Spezialiät: Die Sammlerin Julia Stoschek eröffnet ein Pop-up-Privatmuseum in Berlin.

„Julia Stoschek Collection“ steht in großen Lettern auf der Fassade, für Passanten an der Leipziger Straße nicht zu übersehen. Der neueste Sammlerzugang ist in der Stadt, und er zeigt nicht nur, was er hat, sondern vor allem, dass es ihn jetzt hier gibt. Tatata-tam! Das Frühjahr 2016 bringt eine Welle neuer privater show rooms. Wenige Wochen zuvor eröffnete der einstige Kölner Galerist Désiré Feuerle anlässlich des Gallery Weekend seine Sammlung in einem Weltkriegsbunker am Landwehrkanal: fernöstliche Antiken auf 6000 Quadratmetern exquisit ausgeleuchtet im Dunkel der Betonkatakomben. In einer Kreuzberger Fabriketage hat sich derweil die auf islamische Metallkunst spezialisierte Bumiller Collection aus Bamberg mit einer Auswahl ihrer schönsten Stücke niedergelassen.

Die meiste Beachtung aber zieht nun die Düsseldorfer Sammlerin Julia Stoschek auf sich, die just einen Tag vor Eröffnung der Berlin Biennale ihre Dependance in der Hauptstadt vorstellt. Präziser ist eine Punktlandung kaum zu machen, die allgemeine Aufmerksamkeit gilt damit zunächst einem privaten Unterfangen, dann erst dem alle zwei Jahre wichtigsten öffentlichen Ausstellungsprojekt der Stadt. Das mag den Punkt erklären, der als Logo dient und ebenfalls mit den Großbuchstaben JSC für Julia Stoschek Collection an der Fassade des ehemaligen tschechoslowakischen Kulturinstituts prangt. Mit Julia Stoschek hat die Sammlerstadt Berlin nicht nur ihren interessantesten, sondern auch glamourösesten Neuzugang erhalten. In der Kunst ist die 41-Jährige ein eigenes Kaliber, als Sammlerin eine Rakete, spezialisiert auf medienbasierte Kunst. Wer heute Werke der jüngsten Generation ausstellen will, Vertreter der post-internet-art, aber auch Historisches mit bewegtem Bild noch aus den Sechzigern, der kommt an Stoschek als Leihgeberin nicht vorbei. Viele Neuproduktionen für öffentliche Ausstellungen gehen nicht zuletzt auf ihre Förderung zurück. Auch der deutsche Pavillon profitierte bei der letzten Biennale di Venezia davon. In Düsseldorf unterhält die ambitionierte Kunstliebhaberin seit 2007 in einer ehemaligen Fabrik ein eigenes Museum mit hochkarätigem Programm. Dorthin pilgert, wer sich jüngste, beste Videokunst anschauen will

Julia Stoschek
Die Kunstsammlerin Julia Stoschek in der Ausstellung «Number nine: Elizabeth Price».

© Matthias Balk/dpa

Eine echte Society-Lady

Aber auch in der Welt der Yellow Press ist die Sammlerin eine bekannte Figur: schön, reich, Gesellschafterin der Brose Fahrzeugteile GmbH, die weltweit in jedem zweiten Neuwagen Elemente verbaut hat, dazu einstmals Dressurreiterin im Bundeskader und seit wenigen Wochen Mutter eines Kindes, dessen Vater sie nicht nennt. Die Eröffnung ihrer Berlin-Zweigstelle ist ein Society-Ereignis. Im Eingang des ehemaligen tschechoslowakischen Kulturinstituts, in dem sich die Sammlung zunächst für fünf Monate auf 2500 Quadratmetern präsentiert, sitzen am Empfang junge Frauen in Schwarz mit Pailletten-Oberteilen, ein Schick, den die Berliner Kunstwelt sonst nicht kennt.

Und noch etwas ist neu: der zeitliche Aplomb, mit dem sich die Privatsammlung präsentiert. Als Beiratsmitglied der Kunst-Werke in der Auguststraße, Ausgangspunkt der Berlin-Biennale, weiß Stoschek bestens Bescheid sowohl um die Terminierung dieses Großereignisses als auch seine inhaltliche Ausrichtung. Ihre Berliner Dependance lässt sich durchaus als erweiterte Spielstätte der Biennale verstehen, selbst wenn dies offiziell nicht als Lesart gilt. Viele Künstler, die von den vier Biennale-Kuratoren in der Akademie der Künste, in den Kunst-Werken, in der European School of Management and Technology, einer Etage der Feuerle-Collection und auf einem Fahrgastschiff der Reederei Riedel vorgestellt werden, sind an der Leipziger Straße mit einer anderen Arbeit noch einmal zu sehen. Zufall ist das nicht.

Wie ein perfekt sitzender Handschuh

Unmittelbare Zeitgenossenschaft, jüngste Produktionen der digital natives sind für die Berliner Stoschek-Premiere die entscheidenden Kriterien, womit sie automatisch beim erklärten Thema der Berlin-Biennale landet. Diese endet allerdings irgendwann wie jede Biennale. Für die Stoschek Collection wünscht man sich jedoch schon jetzt, dass sie für Berlin von Dauer ist. Einen auf Video-Kunst spezialisierten Ausstellungsort dieser Güte, eine weitere Sammlung solchen Kalibers kann die Stadt gebrauchen. Verhandlungen mit der Immobiliengesellschaft des Bundes, die das Gebäude an der Leipziger Straße vermietet, werden bereits geführt. Um den enormen Aufwand, der beim Umbau für Ausstellungszwecke betrieben wurde, die perfekt hergerichteten Räume wäre es jammerschade.

Das Gebäude, in dem bis vor kurzem noch eine Bürogemeinschaft, davor der Club Konzulár residierte, feiert mit der Sammlung Stoschek seine jüngste Wiederauferstehung. Die Architektin Johanna Meyer-Grohbrügge hängte schwere, weiße Gardinen auf, die mal als Raumteiler dienen, mal die Fenster zur Leipziger Straße verhängen, um damit einerseits im Inneren die nötige Dunkelheit herbeizuführen, andererseits nach außen zu signalisieren: Hier beginnt eine private Sphäre, mag sie auch für ein kunstinteressiertes Publikum öffentlich zugänglich sein. Wie in Düsseldorf, wo das Berliner Architekturbüro Kuehn/Malvezzi eine ehemalige Fabrik in Oberkassel für die Bedürfnisse medienbasierter Kunst transformierte, präsentiert sich das Kulturinstitut mit seinen wechselnden größeren und kleineren Räumen, dem marmornen Boden, den hölzernen Täfelungen im ehemaligen Kinosaal nun wie ein perfekt sitzender Handschuh.

Drei Etage, tausende Bilder, hunderte Szenarien

Willkommen also in der schönen, neuen Welt, in der Avatare, künstliche Naturen, Cross-Gender-Figuren die Protagonisten sind. Die Stoschek-Collection setzt auf aktuellste Kunst und landet dabei im Morgen. Der Betrachter gerät in einen Fluss der Bilder, die ebenso verführerisch wie verstörend wirken. Rachel Rose, eine der insgesamt 20 Teilnehmer, präsentiert jedoch keine Selbstvergessenheiten, sondern bezieht sich auf Werke der Kunstgeschichte, Ikonen der Architektur. Sie pinselt bewegliche Bilder am Computer, die genauso klug, anspielungsreich, ästhetisch reizvoll wirken können wie zu früheren Zeiten ein Gemälde.

Nicht von ungefähr spielt ein Bild von Nicolas Poussin eine wichtige Rolle in ihrem Video „A minute ago“. Der Beitrag geht zurück auf einen zufällig im Sommer 2014 gedrehten Amateurfilm an einem sibirischen Badestrand, der überraschend von einem Hagelsturm heimgesucht wird. Eine Minute zuvor, so das Titel gebende Zitat eines Zeitzeugen, war das Wetter noch perfekt. Dagegen geschnitten erscheint der Grandseigneur der modernen Architektur, Philipp Johnson, der als virtuelle Figur durch sein berühmtes „Glass House“ in Connecticut führt. Was das alles miteinander zu tun hat? Schwer zu sagen. Es mutet poetisch, bedeutungsschwanger an. Mit einem Gemälde kann dies einem allerdings genauso ergehen.

Im ehemaligen tschechoslowakischen Kulturinstitut durchwandert der Ausstellungsbesucher auf diese Weise über drei Etagen Tausende Bilder, Hunderte Szenarien, die auf einander folgen. Installationen wie die Glaskabine von Jon Rafman, das hölzerne Geländer von Helen Marten, die Gymnastikbank von Hannah Black, die futuristischen Telefone von Camille Henrot geben als reale Elemente zwischendurch konkreten visuellen Halt. Nur wenig später begegnet man auch schon der nächsten irrlichternden Gestalt. Whitney Houston und Kurt Cobain treten etwa bei Josh Kline als Wiedergänger auf, die dank einer besonderen Software um Jahre gealtert sind, als wäre ihr Tod nur ein Irrtum der Medien gewesen. Was auf den ersten Blick wie technische Spielerei wirkt, ist dem Künstler bitterernst. Mit größter Besorgnis verfolgt er den Kult um Celebrities, die Versuche einer Selbstoptimierung, die nur im Desaster enden können. Wer sind wir? stellt er die uralte Frage wieder neu.

Von wegen schöne, neue Welt

Hannah Black wendet sie ins Politische. Für ihr Video „Bodybuilding“ zeigt sie mit Gewichten schuftende Kerle aus Aserbaidschan – als Analogie zur Gesellschaft. Verdreifacht tauchen die Muskelmänner auf den trostlosen Fassaden der Hauptstadt Baku auf. Die Ideale des Sozialismus sind längst zerstoben, die Perfektionierung beginnt nun direkt beim Menschen, selbst gewollt, ohne Diktat von oben. Von wegen schöne, neue Welt: Desillusionierung, Tristesse, Angst vor dem Selbstverlust sind die Themen der jungen Künstler.

Doch diese Gefühle sind nicht neu. Der Ausstellungsbesucher tritt eine Reise sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit an: zurück in die Endsechziger, als das Gebäude im Zusammenhang mit der kompletten Neugestaltung der Leipziger Straße entstand, und mittels der gezeigten Werke nach vorne in eine ungewisse Zeit, in der komplette Künstlichkeit die Wahrnehmung bestimmt. „Welt am Draht“ lautet der Ausstellungstitel in Anlehnung an Rainer Werner Fassbinders zweiteiligen Fernsehfilm von 1973, in dem ein Großrechner eine Zukunft imaginiert, um für wirtschaftliche wie politische Entscheidungen präpariert zu sein. Welche Weitsicht, heute ist dies Wirklichkeit: Algorithmen bestimmen unser Konsumverhalten. Bei Fassbinder wissen die Probanden irgendwann nicht mehr, ob sie sich nun in der wahren oder virtuellen Welt befinden. Von diesem beängstigenden Schwebezustand berichten die Werke der Stoschek-Collection. Mögen sie zumindest bleiben.

Julia Stoschek Collection, Leipziger Str. 60, bis 18. 9.; Do bis So 14 – 20 Uhr. Anlässlich der Eröffnung der Berlin Biennale bis 5. 6. jeweils 11 – 22 Uhr.

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