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Kunststücke: Zarte Linien

Jakob Wais sucht Zucht und Ordnung in den Galerien der Brunnenstraße.

In seiner ersten Einzelausstellung in der Galerie Martin Mertens (Brunnenstraße 185, 2. HH, bis 18. Dezember) erinnert sich Kai Mailänder an die vermeintlich sicheren Jahre im Wirtschaftswunder. Vergilbte Fotografien zeigen eine miefige bayerische Dorfidylle, der 26-jährige Künstler reißt sie aus dem Fotoalbum, besprenkelt sie mit Farbe, hinterlässt Ränder wie von Kaffeetassen und macht grafische Collagen (450-850 Euro) daraus. Die alten Buchseiten bleiben erhalten und verweisen auf die Herkunft der Bilder. Wer genau hinsieht, erkennt die Detailverliebtheit dieser grob anmutenden Collagen. Mailänder zieht feine Linien, schmiert und überklebt und setzt so die Fachwerkhäuser und Berglandschaften in neue Zusammenhänge. Für ihn vermitteln die frühen Sechziger vor allem „Zucht und Ordnung“, so heißt auch der Ausstellungstitel. Wie Schatten der Vergangenheit legen sich grau-braune Farbschleier über sein düsteres Werk. Zusätzlich wird Malerei (550-3700 Euro) gezeigt, auch sie im morbiden Retro-Ambiente. Ähnlich den Collagen hat Mailänder hier Alltagsgerümpel aus dem Kontext gelöst. Die Funktion des Abgebildeten erschließt sich oft erst auf den zweiten Blick. Verloren liegen Tierknochen im Raum, sie sollen auf die Veränderung des Lebensraums hinweisen. Doch diese Rechnung geht nicht auf: Die weiß- grauen Klumpen bleiben leblos.

Schräg gegenüber zeigt die Galerie Klemm’s (Brunnenstraße 7, bis 18. Dezember) Arbeiten von Peggy Buth. Die in Berlin geborene Künstlerin und Performerin legt sich in ihrem Schaffen nicht auf eine bestimmte Form fest. Im Eingangsbereich stehen Bankreihen wie aus einem Vorlesungssaal, darauf sind acht antiquierte Schreibmaschinen gereiht. Man möchte glauben, hier hätten einst die Köpfe der Studentenbewegung ihre Manifeste im Kampf gegen Zucht und Ordnung verfasst. In „Listeners & Typewriters“ stehen Sprache und Schrift im Vordergrund. Dahinter warten auf einem Foto drei Mikrofone in grünem Licht. Von der Vielfalt ihrer Arbeiten zeugt eine große Jute-Leinwand. Mit Sprühfarbe, Acryl, Bitumen und Kreide hat Buth die Fläche attackiert. Dunkel glänzende Schellack-Spritzer ziehen sich harzig und zäh darüber. Darunter sind zarte Figuren erkennbar. Die Zuhörer? Wer dem lauschen möchte, was an anderer Stelle aus den Kopfhörern eines Ghettoblasters dringt, muss sich schon sehr konzentrieren: Hörbar kämpft der Lesende mit den Hürden der deutschen Sprache. Schrift und Wort werden bei Buth zum Machtinstrument.

Jakob Wais

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