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Sternenzelt. Heinrich Schulze Altcappenberg mit Schinkels Bühnenentwurf für die Halle der Königin der Nacht.

© Thilo Rückeis

Kupferstichkabinett Berlin: Lieblingsstücke eines Schelms

Eine Runde Abschied: Direktor Heinrich Schulze Altcappenberg verlässt das Kupferstichkabinett.

Man hätte es sich denken können, denn das offizielle Foto auf der Website der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zeigt ihn vor dem berühmten blauen Firmament, dessen Sterne eine Kuppel bilden: Schinkels Bühnenbild für die „Königin der Nacht“ aus dem Jahr 1814. Und so hebt Heinrich Schulze Altcappenberg im Depot des Kupferstichkabinetts nicht ganz überraschend den schützenden Karton vom Originalentwurf für Mozarts „Zauberflöte“. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Ja, das ist eines seiner Lieblingsbilder aus dem über 700 000 Werke umfassenden Sammlungsbestand. Der scheidende Direktor hat fünf seiner Favoriten auf hölzernen Ständern aufstellen lassen und gleitet nun wie ein wohlwollender Vater mit liebendem Blick über sie hinweg. Schinkel, Menzel, Piranesi stehen unter allen Kindern seinem Herzen eben doch am nächsten.

„Sehen Sie“, beginnt der Kunsthistoriker sofort animiert, „keine Rahmung, keine Perspektive, keine Architektur.“ Der Anblick muss für das Opernpublikum damals spektakulär gewesen sein, das Bühnenbild war sofort Stadtgespräch, denn hier hatte sich ein Künstler erlaubt, alle gängigen Regeln zu ignorieren. Ein Meilenstein auf dem Weg zur Moderne. Die Königin der Nacht trat wie eine Erscheinung aus dem Hintergrund auf die silbrige Mondsichel, um von dort ihre Arie zu singen. Gewiss, ein bisschen ist das Deckweiß von der Mondsichel auf dem Originalentwurf mittlerweile abgebröckelt; für Postkarten, Plakate wird das beliebte Motive retuschiert.

Schulze Altcappenberg sieht diesen kleinen Schönheitsfehler dem Blatt nach, am Monument Schinkel kratzt es ohnehin nicht. Trotzdem hat dem Schinkel-Experten so mancher nachgetragen, dass er den großen Baumeister in der Retrospektive von 2012 auf gleicher Höhe mit dem Bühnenbildner und Designer, also dem angewandten Künstler, präsentierte. Den Schinkel-Preis, der alle fünf Jahre von seiner Geburtsstadt Neuruppin verliehen wird, hat er dennoch bekommen – auch für das mehrjährige Forschungsprojekt, die Erfassung aller Schinkel-Werke im Besitz des Kupferstichkabinetts für den Online-Katalog, 7000 Blatt insgesamt.

Fontanes "Stechlin" zeigt, dass städtisches und ländliches Leben vereinbar sind

Ganz hat sich der Kunsthistoriker offensichtlich noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass die Zeit am Kupferstichkabinett für ihn bald vorüber sein wird. Ende April geht der dann 64-Jährige in den Vorruhestand, will sich mehr Zeit für die Familie in Berlin nehmen und sich außerdem um das Gehöft im westfälischen Altcappenberg kümmern, für das er nach dem Tod des Bruders überraschend wieder Verantwortung bekam. Die Lektüre von Fontanes „Stechlin“ tröstet ihn einstweilen darin, dass sich städtisches und ländliches Leben durchaus vereinbaren lässt. Schon die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts hatte Übung darin. Warum sollte das nicht 120 Jahre später ebenfalls gelingen? Schulze Altcappenberg bleibt schließlich weiterhin Wissenschaftler und wird sich am nächsten Inventarisierungsprojekt des Kupferstichkabinetts beteiligen, wenn auch als Externer: Es betrifft Carl Blechen, von dem das Berliner Museum die größte Sammlung von Papierarbeiten besitzt.

Das Faible des noch amtierenden Museumschefs für das 19. Jahrhundert zeigt sich auch an den Menzel-Werken, die er als weitere Lieblinge im Depot hat aufstellen lassen. Wie bei Schinkel reizt den Kunsthistoriker wieder der Regelverstoß: Das ausgewählte Blatt zeigt eine Ratte, die dem Betrachter ihr Hinterteil zukehrt, um in einem Gulli zu schnuppern. Schulze Altcappenberg deutet auf den Abfall rundum, dazwischen ein Ei. „Das riecht man förmlich“, schwärmt er und macht auf die Signatur des Künstlers aufmerksam, der seinen Namen ausgerechnet zwischen den Müll gesetzt hat. Eine Provokation. Schulze Altcappenberg aber hat seinen Spaß daran, ebenso wie an seinen unkonventionellen Sommerausstellungen „Wir gehen baden“ vor zwei Jahren oder 2015 „Wir kommen auf den Hund“, bei der es sogar Führungen für Vierbeiner gab und Exponate auf Schnauzenhöhe.

Vermutlich hatte sich der Stiftungsrat, der den schelmischen Kunsthistoriker 2002 zum Direktor des Kupferstichkabinetts berief, eine solche Popularisierung des über 1000 Jahre abdeckenden Bestands damals noch nicht vorgestellt. Allerdings hatte Schulze Altcappenberg als Projektleiter zwei Jahre zuvor den großen Erfolg der Botticelli-Ausstellung eingefahren, allein zur Eröffnung kamen 1400 Besucher. Das kannte man am Kulturforum bisher noch nicht, die Vernissage musste in die Wandelhalle der Gemäldegalerie verlegt werden. Im Jahr 2000 kippte die Stimmung, erinnert sich Schulze Altcappenberg, auf einmal wurde Berlin touristisch attraktiv. Davon sollte auch das Kupferstichkabinett profitieren mit einem neuen Direktor, der das Haus gut kennt, aber für neue Ideen aufgeschlossen ist.

Seine Strategie: Wir müssen präsent sein

Zehn Jahre zuvor, Anfang der 90er Jahre, hatte der gebürtige Westfale noch in Dahlem angefangen. Damals schrieb man auf Schreibmaschinen, der Kopierer war gerade eingeführt worden, erzählt er immer noch staunend, dass die von ihm mitbetreute Fusion der Bestände aus dem West- und Ostteil der Stadt am Kulturforum schließlich doch gelingen konnte. Am endgültigen Standort angekommen, muss sich das Kupferstichkabinett allerdings weiterhin nach der Decke strecken, um die eher unglückliche Lage am Kulturforum, die versteckte Adresse im Obergeschoss des linken Flügels, wettzumachen.

Schulze Altcappenberg hat da seine eigene Strategie: „Wir müssen präsent sein.“ In drei Häusern ließ er deshalb Filialen seines Museums einrichten, drei Kabinette insgesamt in der Gemäldegalerie, in der Alten und Neuen Nationalgalerie, die vierteljährlich neu bespielt werden. Mit gemischten Gefühlen blickt der scheidende Direktor nach Mitte. Natürlich wäre er damals gerne mit zur Museumsinsel gezogen, als ein Umzug der Gemäldegalerie zur Debatte stand. Heute richtet sich die Aufmerksamkeit der Stadt auf das kommende Humboldt-Forum. Als Antwort darauf hat sich Schulze Altcappenberg eine Büste des großen Forschers auf sein Fensterbrett gestellt, die den Blick nach draußen auf den trostlosen Vorplatz gerichtet hat. Er habe damit sein eigenes Humboldt-Forum kreiert, erklärt der Kunsthistoriker augenzwinkernd. Denn natürlich befinden sich im Bestand des Kupferstichkabinetts jede Menge Werke, die in Verbindung zu Humboldt stehen, darunter die von ihm angeregten Weltlandschaften, mit denen er etwa die Physiognomie der Tropen künstlerisch erfassen lassen wollte.

Den Bau des Museums der Moderne in unmittelbarer Nachbarschaft des Kupferstichkabinetts wird Schulze Altcappenberg zwar nur noch aus der Ferne erleben, aber für ein Schaufenster seiner Sammlung hat er auch dort gesorgt. 500 Quadratmeter sind für das Kupferstichkabinett reserviert, für Schulze Altcappenberg das Mindeste, besitzt doch sein Museum 250 Picassos, die Nationalgalerie nur fünf, wie er mit Stolz erklärt.

Mag es die kleine Form, die Papierarbeit, beim Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums auch schwerer haben, „wir sind dafür mobil, leichter, auf der Seite des Klaren, des Puren, des Offenen“, spricht sich Schulze Altcappenberg in Schwung. „Der Diskurs über Kunst lief immer über die Grafik“, ist er überzeugt. Schinkel und Menzel würden ihn sofort darin bestätigen.

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