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Kultur: Kurz & heiter

Herbert Rosendorfers letzter Roman „Huturm“.

Herbert Rosendorfers Fabulierlust kannte keine Grenzen. Der vor zehn Tagen verstorbene Schriftsteller und Richter verstand es, gelehrsam zu sein und gleichzeitig verbindlich zu plaudern, so auch in seinem letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Roman „Huturm. Nachrichten aus der Provinz“. Dieser ist reich an Anekdoten, vermeintlichen Nebensächlichkeiten, satirischen Einschüben und an Geschichte. Er beginnt mit einer schicksalhaften Begegnung. Den Wanderergesellen Friedrich Guggemot führt es nach den Napoleonischen Kriegen ins beschauliche Huturm am See, irgendwo in Österreich. Hier hat soeben Fürst Feldenwerth-Tragans ein Kloster als neuen Familiensitz erworben. Der Adlige gewährt dem fremden Wanderer ein Goldstück und ein Mahl. Damit beginnt die Verknüpfung zweier Lebensläufe. Die Familien und Nachkommen dieser beiden Männer werden von da an die Entwicklung Huturms vom bäuerlichen Kaff zum schicken Urlaubsort prägen.

Huturm ist ein fiktiver Ort, aber er könnte ebensogut real sein, fungiert er doch als Kulminationspunkt aus fast zwei Jahrhunderten Historie. An deren Ende, nach sechs Generationen, ist es der abgebrannte junge Nachfahre der entmachteten Fürstenfamilie, der von den Erben des einst „dahergelaufenen“ Guggemot 50 Schillinge geschenkt erhält.

Das fürstliche Schloss wird von der US-Armee nach 1945 zerstört; die Familie Guggemot aber baut nach bescheidenen Dorfkneipen-Anfängen mit ihrem „Kreuzwirt“ einen florierenden Hotelbetrieb auf. Episodenhaft schildert Rosendorfer die Entwicklung Huturms, lässt das Dorf aber auch zum Mittelpunkt der Weltgeschichte werden, von der 48er-Revolution über die Weltkriege bis zur amerikanischen Besatzung. Dabei stutzt Rosendorfer die Großmäuler und Sieg-Heil-Krakeeler genussvoll und jovial auf menschliches Normalmaß: den jungen Erzherzog und späteren k.u.k-Kaiser; den streng religiösen Sittenwächter Huturms; oder den Hinkel Lutz, der als Dorfdepp zum NS-Ortsgruppenleiter aufsteigt, bald aber wieder Dorfdepp wird: „Es war nämlich so, dass man in Huturm den plötzlich aufleuchtenden Ortsgruppenleiter nicht erkannt hatte.“ Dass praktisch das gesamte Dorf den gleichen Weg mitgegangen ist, versteht sich. 1945 wird schnell noch am Ortsschild von Huturm der Zusatz „ist judenfrei“ durch „grüßt seine Befreier“ übertüncht.

Während die Jahre über das kleine Dorf hinweggehen, wünschte man sich, diese Mischung aus Legenden, Geschichtsunterricht und alpenländischem Kabarettstück würde sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Das systematische Abschweifen lässt einen bisweilen den Faden verlieren. Aber jeder Gedankenausflug ergibt einen Sinn, weil Geschichte nie geradlinig verläuft. Deshalb ist womöglich gerade dieses kurze, heitere, panoramaartige Buch ein Paradebeispiel für Rosendorfers so umfangreiches Gesamtwerk. Dennis Grabowsky

Herbert

Rosendorfer
:

Huturm. Nachrichten aus der Provinz.

Folio Verlag,

Wien/Bozen 2012.

180 Seiten, 19,90 €.

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