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Kurz & kritisch: Sehenswertes im Panorama, Forum und Berlinale Special

"L’arbre et la forêt", "Peepli Live" und "Eine flexible Frau".

PANORAMA

Bleib nicht, wie du bist: „L’arbre et la forêt“

Ein älterer Herr geht im morgendlichen, trüb-nebligen Wald spazieren. Hundegebell ertönt von Weitem. Der Mann bleibt stehen, bis in einiger Entfernung Hund und Halter passieren. Dann lehnt er sich an einen Baum und weint. Schnitt. In einem französischen Landhaus sind drei Generationen versammelt. Sie kommen von einem Begräbnis, dem der Spaziergänger – das Oberhaupt der Familie – ferngeblieben ist. Dabei war es sein ältester Sohn, der begraben wurde. Als Frédérick (Guy Marchand) aus dem Wald zurückkehrt, bricht Streit aus. Guillaume, der jüngere Sohn, attackiert den Vater. Der zieht sich in sein Zimmer zurück und hört Wagner-Arien. Sehr laut.

So beginnt dieser schöne, nachdenkliche Film der Berlinale-Habitués Olivier Ducastel und Jacques Martineau um ein Familiengeheimnis, das langsam gelüftet wird. Der Wald spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn Frédérick ist Baumzüchter. 1943, als er aus dem Konzentrationslager zurückkehrte, hat er einen Baum gepflanzt, den er nun mehr liebt als seine Kinder. Beim Geburtstag seiner Frau Marianne kommt die Wahrheit über Frédéricks Vergangenheit ans Licht: Nicht wegen seiner politischen Gesinnung, sondern wegen seiner Homosexualität war Frédérick unter der kollaborierenden Vichy-Regierung inhaftiert worden. Seine Kinder reagieren feindselig auf das Geständnis. Seine Enkelin und deren Freund, der als eine Art Moderator zwischen den Parteien fungiert, bringen dagegen Verständnis auf.

Einstellungstotalen des Waldes zu verschiedenen Jahreszeiten und das Geräusch von Motorsägen rhythmisieren und akzentuieren den Film, der sanft für die Versöhnung mit der Vergangenheit plädiert. Den Wald zu verkaufen, hieße, die Vergangenheit auszulöschen, sagt die Enkelin als Vertreterin einer Generation, die endlich nicht mehr verschweigen und verdrängen muss. Daniela Sannwald

Heute 17 Uhr (International), 21. 2., 21.30 Uhr (Zoo-Palast)

BERLINALE SPECIAL

Töte dich, wenn du kannst:  „Peepli Live“ von Anusha Rizvi

Der Tod, sagt man, ist umsonst. Manchmal bringt er aber auch ganz schön was ein. Dem Bauern Natha zum Beispiel. Haus und Hof wird er verlieren, wenn nicht bald die Schulden beglichen sind. Sein Bruder weiß Rat: Töte dich, dann wird alles gut! Denn stand nicht neulich in der Zeitung, dass die indische Regierung all jene Bauersfamilien mit 100 000 Rupien entschädigt, deren Männer sich das Leben nehmen? Ein Lokaljournalist bekommt Wind von der Sache und löst einen Medienwirbel aus. Denn bald wird gewählt, und die Staatsminister, Landesfürsten und Bandenführer tun alles, um Nathas Schicksalsfrage gegeneinander ins Spiel zu bringen. Die einen ermutigen ihn. Andere drohen: Wenn du dich nicht bald umbringst, bist du ein toter Mann!

Die Geschichte von „Peepli Live“ beruht auf einer bedrückenden Zahl. 182 000 überschuldete Bauern nahmen sich zwischen 1997 und 2007 in Indien das Leben. Regisseurin Anusha Rizvi verwandelte in ihrem Debüt ein solches Einzelschicksal in eine derbe, schwarzhumorige – und zugleich tieftraurige – Dorfposse. Ihre Spitzen gegen die politische Klasse sind treffsicher, ihr Blick auf die Dorfbewohner voller Empathie. Rizvi ließ sich für die Dreharbeiten selbst in einem kleinen Dorf nieder, den größten Teil der Rollen gab sie an Schauspieler aus ländlichen Theatergruppen. Sie verleihen den Figuren eine Wahrhaftigkeit, wie sie mit einer Studioproduktion nie zu erreichen gewesen wäre. Ein sehenswerter Film, dem man jederzeit ansieht, wie viel Herzblut in seine Herstellung eingegangen ist.Sebastian Handke

Heute 21.45 Uhr (Cinema Paris), 19. 2.,18 Uhr (Cubix)

FORUM

Ändere dein Leben: „Eine flexible Frau“ von Tatjana Turanskyj

Der Titel des Films erinnert an Richard Sennetts Buch „Der flexible Mensch“. Die halb nackte Frau, die zu Beginn und am Ende über ein Stoppelfeld torkelt, könnte aus einem Ulrike-Ottinger-Film kommen. Hölderlin wird verlesen. Eine Visagistin referiert Marx. Einen feministischen Stadtbilderklärer gibt es auch. Keine Angst, das fügt sich alles zusammen. So assoziationsreich Tatjana Turanskyj arbeitet, so einfach und repräsentativ ist die traurige Geschichte, die sie erzählt. Da verliert eine alleinerziehende Architektin ihren Job und verkauft eine Weile Fertighäuser in einem Call-Center, bis sie wegen mangelnder Umsätze auch dort fliegt. Doch die Heldin ist klug, ausgestattet mit Widerspruchsgeist und klarem Unrechtsbewusstsein. Tatjana Turanskyj erzählt keinen sozialrealistischen Elendsporno, sondern erfindet eine eigene Form des narrativen Essayfilms, die vielschichtig private und professionelle Redeweisen und Haltungen ausstellt. Eine aktualisierte Variante der alten Frage nach dem Verhältnis von Fressen und Moral.Silvia Hallensleben

Heute 16.15 Uhr (Cinestar 8), 19. 2., 20 Uhr (Arsenal 1), 20. 2., 16.30 Uhr (Delphi), 21. 2., 20 Uhr (Colosseum 1)

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