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Kultur: Kurzer Film über den Tod: Lech Majewskis Hommage an den polnischen Kultpoeten

"Bajka" steht in leuchtender Neonschrift über der schäbigen Eingangstür einer Kneipe: das polnische Wort für "Märchen". Schon von fern her, aus dem Schwarz eines Hoftors heraus hatte die Kamera diesen noch unkenntlichen Eingang ins Visier genommen, war mit kaum merklicher Bewegung näher gekrochen und gewöhnt nun das vollständig aus dem Dunkel herausgetretene Auge an das fahle Schwarz-Weiß ihrer Bilder.

"Bajka" steht in leuchtender Neonschrift über der schäbigen Eingangstür einer Kneipe: das polnische Wort für "Märchen". Schon von fern her, aus dem Schwarz eines Hoftors heraus hatte die Kamera diesen noch unkenntlichen Eingang ins Visier genommen, war mit kaum merklicher Bewegung näher gekrochen und gewöhnt nun das vollständig aus dem Dunkel herausgetretene Auge an das fahle Schwarz-Weiß ihrer Bilder. Plötzlich fällt, wie ein Geschoss, neben den Neonbuchstaben ein Mann aus dem Fenster und klirrt mit Scherben und Nägeln auf die Straße. Rafal Wojaczek ist dieser lebensmüde, lebenshungrige Selbstmörder, der sich mit solcher Wucht aus der abgetakelten, trostlosen Märchenkneipe katapultiert, dass man ihm seinen Todeswunsch kaum abnimmt. Eher meint man, eine kosmische Kraft müsse ihn hinausgepustet haben.

Rafal Wojaczek, der junge polnische Dichter, der in Katowice geboren wurde und sich 1971, gerade 26jährig, in Breslau das Leben nahm, galt in Polen als Rebell. Sein Selbstmord machte ihn in den 70er und 80er Jahren zur Kultfigur der unzufriedenen polnischen Jugend. Nicht, weil er so politisch war, sondern weil sein Leben erbarmungslos spürbar und konsequent sein sollte.

Denn Ende der sechziger Jahre, als auch an den realsozialistischen Polen die Wirtschaftswunderträume nicht vorbeigingen und die tägliche Mangelverwaltung in den Läden in immer absurdere Entfernung zu den menschlichen Bedürfnissen und den erklärten Parteiinteressen rückte, war Wojaczek einer der wenigen, die keine Trennung mehr akzeptieren wollten zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Nur schrie er keine Parolen, sondern kehrte das Problem gegen sich selbst und legte damit den Grundstein für seinen Kult: Dichtung und Leben sollten für Wojaczek eins sein. Vielleicht ist das ein Grund, warum der polnische Regisseur Lech Majawski ihn wiederentdeckt hat. Je vergeblicher Wojaczek, der Kultpoet, aber versuchte, gegen die Oberfläche und die Mechanik anzuleben und anzuschreiben, je vergeblicher er versuchte, die Dinge mit Worten beleben, statt sie nur zu benennen, desto erbarmungsloser geriet er an die Grenze des Todes, der die ersehnte Ganzheitserfahrung zu versprechen scheint.

Ein Todesdelirium ist denn auch dieser dunkle und zuweilen aberwitzig sarkastische Film. Seine Bilder sind dem Leben oft einen Schritt voraus: Harte Schnitte zeigen die Bewegungen des Verzweifelten in sprunghaften Abläufen, geben dem Helden, wie er sich selbst, keinen Grund und keine reale Zeit mehr für seinen Weg in das Leben, der zu einem Weg in den Tod wird. Krzysztof Siwczyk taumelt als Wojaczek durch die Straßen wie ein polnischer Alain Delon, arrogant und verzweifelt, brutal und schmächtig. Betrunken von ebensoviel Wodka wie von dem Gefühl der Vergeblichkeit.

Schrille Schläge auf kaltes Metall geben den unsichtbaren Takt dieses Films und treiben den Todgeweihten an, wie die Holzschläge im alt japanischen No-Spiel die unveränderlichen Bewegungen der Figuren rhythmisieren. Ein "anderes Märchen", wollte Wojaczek erzählen wie der Titel seines letzten, noch zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichtbandes verspricht. Lech Majawskis Film erzählt es jetzt virtuos für ihn.Im Kino Balazs. Am Freitag Filmgespräch mit dem Regisseur. Am Samstag, nach der 22 Uhr-Vorstellung spielt die polnische Jazzband Milosz.

Doris Meierhenrich

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