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Kurzgeschichten von John Grisham: Trauer und Wut

John Grisham bleibt sich treu. Seine Kurzgeschichten sind Justiz-Thriller "von unten".

Inez Graney kann sich nicht erinnern, „wann das Schicksal es das letzte Mal gut mit ihr gemeint hat“. Ihr trinkender Mann hat sie vor Jahren verlassen, jetzt ist sie allein mit ihren drei Söhnen, und Raymond, der Älteste, sitzt im Gefängnis. An einem Mittwoch im Juli fahren sie ihn wie so oft besuchen, an Trailer Parks, Baumwollfeldern und verlassenen Holzhütten vorbei. Doch diesmal ist alles anders. Um Mitternacht soll Raymond hingerichtet werden. Für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat.

Das kennt man doch: Für John Grisham ist Amerika ein einziger Justizirrtum. In „Die Jury“, „Die Firma“ und knapp zwanzig weiteren Bestsellern hat der gelernte Anwalt immer wieder von geldgierigen Ostküsten-Kanzleien, rassistischen Südstaaten-Richtern und korrupten Politikern erzählt. Doch der Fall Raymond Graney gehört in eine Sammlung mit sieben Kurzgeschichten. Die Hauptfiguren sind frustrierte Angestellte, traurig geschiedene Ehefrauen, Bauarbeiter, Automechaniker und White Trash wie die Graneys.

Inez und ihre zwei Söhne essen Burger am Rand des Highways und verscharren Raymonds Sarg am frühen Morgen auf dem Friedhof von Clanton. Eine Beerdigung in aller Stille und ein Leichenschmaus in einem Fast-Food-Restaurant, das ist das letzte bisschen Würde, das ihnen geblieben ist. Und darum geht es John Grisham in seinen bösen Kurzgeschichten: um den Handlungsspielraum derer, für die das Gesetz keine Gerechtigkeit kennt. Er erzählt von einem Altenpfleger, der seine Heimbewohner mit Porno-Magazinen und Prostituierten versorgt und sich dafür einen Platz in ihrem Testament sichert. Von einem Versicherungsvertreter, der seine Frau an einen Kasino-Besitzer verloren hat und aus Rache die Bank sprengt. Und von einer Redneck-Familie, die dem Rechtsanwalt, der sie um den Schadensersatz für ihr behindertes Kind gebracht hat, selbst den Prozess macht.

John Grisham bleibt sich also treu. Seine Kurzgeschichten sind Justiz-Thriller „von unten“, und Fans erkennen auch den Schauplatz: Clanton, Mississippi, die fiktive Kleinstadt, die er vor 20 Jahren für „Die Jury“ entwarf. Der Kreis schließt sich – in den USA erscheint gerade sein Roman „Das Geständnis“. Es geht darin um einen unschuldig zum Tode verurteilten Mann.

John Grisham:

Das Gesetz. Stories.

Aus dem Englischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter und Imke Walsh-Araya.

Heyne, München 2010. 383 Seiten, 19,95 €.

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