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Wunderkind des Essayismus. Die Londonerin Laurie Penny, 29, veröffentlichte 2014 ihre Kampfschrift „Unsagbare Dinge“.

© Jon Cartwright/Verlag

Kurzgeschichten von Laurie Penny: Schlachtfeld Körper

Bekannt geworden ist Laurie Penny als Star des Pop-Feminismus. Jetzt erscheint ihr Prosadebüt "Babys machen", ein Band mit Science-Fiction-Stories.

Laurie Penny ist ein Phänomen: Die Britin prangert lauthals Männerherrschaft und Kapitalismus an – und wird mit Aufmerksamkeit, gar Huldigungen überhäuft. Nein, nicht nur in linken Nischen, sondern auch da, wo ein Aufschrei wie „Nieder mit dem Patriarchat!“ sonst nur peinliches Schweigen und mitleidige Blicke hervorrufen würde. Als sie vergangenes Jahr ihre Kampfschrift „Unsagbare Dinge“ im SO 36 in Berlin vorstellte, bildete sich vor dem Eingang eine ewig lange Schlange – obwohl die Lesung ausverkauft war.

Laurie Penny, die 1986 in London geboren wurde und in Brighton aufwuchs, ist der Popstar des Feminismus. Natürlich weiß sie das Internet für sich zu nutzen, aber was sie auszeichnet, ist etwas anderes: Sie hat nicht nur etwas zu sagen, sie kann auch davon erzählen. Penny trifft einen Ton, klug, eindringlich und persönlich, der nicht nach Betroffenheitsrhetorik klingt.

Gerade erst hat sich der Wirbel um ihr letztes Buch gelegt, in dem sie ausführte, wie der neoliberale Selbstoptimierungszwang die Menschen regiert und ihre Körper zum Schlachtfeld macht, besonders die weiblichen. Jetzt erscheint ihre erste Prosa-Sammlung, mit Texten, die erstmals ins Deutsche übertragen wurden. In „Babys machen & andere Stories“ nehmen Engel in Call-Centern Gebete entgegen, verdingen sich prekäre Praktikantinnen im Kunstsektor Serienmord und finanziert der Staat die Produktion von Tierbaby-Videos als Antidepressivum für eine verzweifelte Bevölkerung.

"Nur damit eins klar ist: Nein, ich mag keine Katzen"

Penny verknüpft in ihren Stories allzu Bekanntes und völlig Abgedrehtes, um aus unerwarteten Perspektiven jenes Gesellschaftswesen zu betrachten, das wir „Mensch“ nennen. Sie entwirft mit wenigen Sätzen unterschiedlichste Charaktere und Settings: mal pessimistisch, mal am Horizont der Utopie, aber immer ganz nah am subjektiven Erleben.

Insofern hat Pennys Fiction viel mit ihrer Non-Fiction zu tun. Bemerkenswert ist ihre Fähigkeit, aus abstrakten und komplexen Theoriegebäuden klare Sätze auf die Ebene der täglichen Erfahrung zu bringen – pointiert, rhythmisch und wortwitzig. Das gelingt ihr so gut, weil sie auch in die emotionalen und sozialen Zwischenräume vordringt, weil sie gleichzeitig Stimmungen, Empfindungen und Haltungen vermittelt. Da erstaunt es nicht, wenn sie ihre Figuren so unmittelbar sprechen lassen kann, dass man sich mit diesen Freaks sofort verbünden möchte – eben wegen ihrer Schwächen.

In „Blue Monday“ zum Beispiel steht einem die Ich-Erzählerin sofort als Chips futterndes Nerd-Girl vor Augen, das sich schwerfällig aus seiner Lethargie reißt, wenn es heißt: „Nur damit eins klar ist: Nein, ich mag keine Katzen. Als Tierart sollen die hinterhältigen kleinen Monster nur in ihren Körbchen bleiben. Ich mag keine Katzen. Ich mag Katze. Ich mag eine Katze. Meine Katze. Und die haben sie mir gestohlen. Wenn alles nach Plan läuft, zahle ich es ihnen heute Nacht heim.“

Die wichtigsten politischen Schlachten der Geschichte wurden auf dem Gebiet der Fantasie geschlagen

Selbstverständlich beschäftigt sich Penny auch in ihren Science-Fiction-Stories mit dem Geschlechterverhältnis und der neoliberalen Arbeitswelt. Denn um sich die Zukunft vorzustellen, muss man die Gegenwart betrachten und einschätzen, in welche Richtung sie steuert. Wie Penny die Zustände beurteilt, lässt sich ausführlich in „Unsagbare Dinge“ (2015), ihrem Erstlingswerk „Fleischmarkt“ (2012) und ihren Artikeln im „New Statesman“ und im „Guardian“ nachlesen.

Möglicherweise ist diese umfassende Analyse der Grund für den allegorischen Charakter von Pennys Prosa. Die Geschichte von Rosie etwa, die mit Tabletten ihren imaginären Freund und seine Parallelwelt verscheucht hatte, aber beim Entzug ihre Wahnvorstellungen als Utopie begreifen kann, kleidet ein altbekanntes Revolutionsnarrativ in ein neues Gewand.

Laurie Penny schrieb in ihrer Einleitung zu „Unsagbare Dinge“: „Die wichtigsten politischen Schlachten der Menschheitsgeschichte wurden auf dem Gebiet der Fantasie geschlagen, und welche Geschichten wir uns zu erzählen erlauben, hängt davon ab, was wir uns vorstellen können.“

Die Autorin ist eben auch, und an erster Stelle, Aktivistin. Sie schreibt nicht ohne Rücksicht auf Verluste. Nur: Erst wenn die Texte sich aus der Eindeutigkeit herauswagen, vervielfachen sich die Dimensionen. Dann entsteht Literatur. Trotzdem sprengt Penny mit ihren Stories konventionelle Muster, deswegen kann man mit ihnen seinen Horizont vom Realen ins Mögliche erweitern. Laurie Penny ist eine Visionärin. Sie schreibt sich und ihre Leserinnen und Leser auch mit ihren fabelhaften Sci-Fi-Storys voran.

Laurie Penny: Babies machen & andere Stories. Aus dem Englischen von Anne Emmert, Edition Nautilus, Hamburg 2016. 19,90 €. Buchvorstellung Mo, 2. Mai, 20 Uhr, Palais der Kulturbrauerei.

Carolin Haentjes

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