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Kurzkritik: Tortilla Curtain im BKA Theater

Grenzerfahrung: Das Platypus-Theater inszeniert T. C. Boyles "Tortilla Curtain" im BKA Theater

Verwunderlich, dass noch niemand auf die Idee gekommen war, aus dem Roman ein Theaterstück zu machen. „The Tortilla Curtain“ von T. C. Boyle aus dem Jahr 1995 ist nicht nur in filmreifen Szenen und Dialogen geschrieben, sondern auch wie ein klassisches Drama aufgebaut. Nun hat das kleine Berliner englichsprachige Platypus-Theater unter Leitung des engagierten Australiers Peter Scollin und seiner Frau Anja das Buch für die Bühne adapiert. Scollins Hauptmotivation war die ungebrochene Aktualität der Einwanderergeschichte zwischen Mexiko und Südkalifornien sowie die Übertragbarkeit des Stoffes auf EU-Verhältnisse. Dabei gelingt es ihm und seinen vier Darstellern im BKA Theater, Boyles zeitgenössische Version von Steinbecks „Früchte des Zorns“ mit einfachen Mitteln in ein kurzweiliges Kammerspiel zu verwandeln.

Das mexikanische Pärchen Candido and América schleicht sich über die Grenze in die USA, sie campen in einem Canyon bei Los Angeles und verdingen sich auf den inoffiziellen Arbeitsmärkten der Gegend für ein paar Dollar. Dabei geht so gut wie alles schief, was schief gehen kann. Candido (überdreht: Kenneth Phillipps) wird bei einem Autounfall verletzt, er kann weder seine Rolle als Ernährer noch als Beschützer Américas wahrnehmen, was ihn tief in seiner mexikanischen Mannesehre kränkt. Die selbstbewusste América (routiniert: Andrea Pani Laura) wiederum wird überfallen, vergewaltigt und schwanger. Der „Amerikanische Traum“ der beiden beginnt gar nicht erst, sondern erstickt in Pech und Ungeschick. Umso mehr Glück man den beiden Figuren im Buch wie auf der Bühne wünscht, desto dramatischer werden die Umstände für sie.

Ihnen gegenüber steht ein Paar aus der oberen US-Mittelklasse: Delaney Mossbacher und seine Frau Kyra. Der weiße Mann Delaney (aufgeräumt: Christian Serritiello) wandelt sich im Laufe der Geschichte von einem liberalen Naturschützer zu einem überambitionierten Einwanderungsgegner. Zunächst rennt ihm einer dieser „mexicans“ vors Autos (wahrscheinlich um die Entschädigungssumme zu kassieren), dann verschmutzen die Immigranten „seine“ Hügel und verursachen Waldbrände. Da befürwortet selbst Delaney den Bau einer Mauer um seine Neubausiedlung, in der er einmal der Natur näher sein wollte. Delaneys Frau Kyra (cool: Melissa Holroyd) ist einfacher angelegt: als materialistisch-nervige „suburb wife“.

Peter Scollin hat den Stoff notwendigerweise auf die Schlüsselszenen zusammegedampft. Er und seine Darsteller erzählen das Drama mit den simplen Mitteln des Off-Theaters zügig und mit Humor (Gesangseinlagen von Melissa Holroyd und Christian Serritiello!). Die Bühne besteht aus nicht mehr als einer stilisierten Mauer aus Kunststoffquadern, mit denen die Darsteller sich ihre Szenenbilder zusammenbasteln (was insbesondere am Schluss, als ein Erdrutsch abgeht, unfreiwillig komisch wirkt).

Wie würde man selbst als liberaler und toleranter Zeitgenosse reagieren, wenn die Einwanderer plötzlich vor der eigenen Haustür stünde – das ist die didaktische Frage hinter Buch und Stück: Solidarität oder Konkurrenz? Theater nicht nur für die als Zielgruppe anvisierten Gymnasiasten.

BKA Theater, Mehringdamm 34, Berlin-Kreuzberg, wieder vom 15. bis 17.12., 11 Uhr.

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