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Kultur: "L.A. Drive-By": Eine Ausstellung von Michael Lange im Postfuhramt

Die Stadt ist menschenleer. Graue Sonne lässt den Asphalt flimmern, heizt die Wellblechhöfe auf und den Müll auf den Gehwegen.

Die Stadt ist menschenleer. Graue Sonne lässt den Asphalt flimmern, heizt die Wellblechhöfe auf und den Müll auf den Gehwegen. Vor einer leergepumpten Tankstelle nestelt ein Reisender an seiner Tasche, eine ungeschlachte schwarze Gestalt überquert die Straße, der Lieferwagen auf der anderen Seite steht weit offen. Über fensterlosen Montagehallen schwenken Überwachungskameras und eine Frau im weißen Kleid beeilt sich. Neben der Backsteinwand endet das Blickfeld und ein schwarzer Hundeschatten lässt vor der Barackenkirche die Zunge hängen."L.A. Drive-By" hat der Photograph Michael Lange, der für Geo, Stern und Time arbeitet, seine Ausstellung genannt: dreißig grobkörnige großformatige Standbilder, die auf die kaputten Räume des Postfuhramtes verteilt wurden. Ein oder zwei in einem Raum, manchmal gar keins. Drive-By, so heißen in Los Angeles Schüsse aus dem fahrenden Auto, auf Passanten, auf die Angehörigen feindlicher Gangs, Mutproben, Initiationsriten auf Straßen, die mit Angst gepflastert sind. Auch der Weg durch die hohen Räume ist ein Drive-By: tote Winkel, fleischig-schwarze Büsche vor einem Tunnel, hinter denen etwas lauern könnte, man hört den eigenen Schritt, aber hinter der Ecke sind nur weiße Wände, ein flüchtiger Blick auf vier Treppenstufen, die ins Nichts führen, ein Mann trägt eine Pizza, vorm vergitterten Elektronik-Shop, nur sein Schatten folgt ihm, ein flüchtiges Paar mit hochgezogenen Schultern verschwindet in der heißen Mauer, und überall Kameras, vergitterte Fenster, gerollter Stacheldraht über Betonmauern, Sackgassen.

Drive-By: Blicke aus dem fahrenden Auto, auf die Fenster des Chevrolet vor der Garagenwand, auf die Türme des Storage Buildings, auf den Gullischlitz an der Ecke. Jede Öffnung wird zur Schießscharte, jeder Busch zum Hinterhalt, so wie der Wagen, in dem der Betrachter sitzt und das Gebüsch, durch das er die Stadt ins Visier nimmt. Wenn die Augen auf eine ungewusste Gefahr warten, wird der der Blick diffus, gleitet über glatte Oberflächen. Alles ist gleichgültig: die Ritzen in den Tunnelkacheln, der Schattenkringel eines Kabels auf der blanken Wand, das blasse Muster im Filter der Klimaanlage, die Eternitschindeln des Vorstadthauses. Gebremste Panik, kontrollierte Müdigkeit, träumerische Wachheit: unter der großen Kuppel des Backsteinbaus endet die Fahrt. Durch das Fenster pfeift die Straßenbahn, rauschen Motoren, mischen sich in die sparsam tropfenden Klänge der Ton-Installation (von Thomas E. Martin) und die Schritte aus dem Nebensaal. Der beunruhigte Blick wandert durch Drahtmaschen auf die schwarze Palme im geharkten Sand, auf das gleißende graue Meer.

Was war das? Ein Gangster-Film, eine Apokalypse, ein Alptraum? Eine kalifornische Zen-Meditation aus Stahl, Beton und Hitze? Im Schwarz eines riesigen Polaroids erscheint kurz und tief der eigene Schatten.

Mathias Greffrath

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