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Kultur: Läs-tern von ges-tern

Schon gut, schon richtig: Nicht jeder hält sich an das neue Regelwerk. Die FAZ macht den Totalverweigerer, andere befleißigen sich einer gemäßigten Rechtschreibreform, wieder anderen, wie den Kulturredakteuren dieser Zeitung, tut es mitunter Leid, dass ihnen nun nichts mehr leid tun darf, sondern sie mit wenig einsichtigen Schreibweisen den Lesern Leid tun müssen.

Schon gut, schon richtig: Nicht jeder hält sich an das neue Regelwerk. Die FAZ macht den Totalverweigerer, andere befleißigen sich einer gemäßigten Rechtschreibreform, wieder anderen, wie den Kulturredakteuren dieser Zeitung, tut es mitunter Leid, dass ihnen nun nichts mehr leid tun darf, sondern sie mit wenig einsichtigen Schreibweisen den Lesern Leid tun müssen. Aber, immerhin: Die Printmedien beherzigen 96 Prozent der Neuschreibungen, die Buchverlage mittlerweile 80 Prozent.

Dennoch ist eine Reform der Reform, wie es nun von FAZ bis "Welt" aufgeregt im Blätterwald rauscht, mitnichten nötig. Der Bericht der Rechtschreibkommission, der gestern (sic!) der Kultusministerkonferenz vorgelegt wurde, bestätigt keineswegs, dass die neue Orthographie flächendeckend missachtet wird. Wenn FDP-Chef Guido Westerwelle zu dem Schluss kommt, die Reform sei gescheitert, macht er viel Lärm um nichts. Die Übergangszeit währt noch bis 2005, und sie ist eben dies: eine Phase, in der das Alte und das Neue nebeneinander, durcheinander auftreten. Relax, würden die Amerikaner sagen. Ein bisschen Toleranz bei erlaubten Varianten, die ein oder andere Korrektur bei der Groß- und Kleinschreibung, der ein oder andere Dichter, der auf der alten Schreibung beharrt: All das wird uns in den nächsten Jahren nicht mehr verwirren als in unserer Kindheit das Grimmsche Märchenbuch mit den altmodisch geschriebenen Wörtern darin. Kommunikationschaos bricht deshalb nicht aus: Wenn unsereins sich mal nicht versteht, dann gewiss nicht wegen der Orthographie.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Also ziert er sich bei jeder Veränderung. Aber er ist auch Schnäppchenjäger: Wo ein günstiges (sic!!) Angebot lockt - wie die endlich kinderleichte Unterscheidung zwischen ss und ß -, greifen wir zu. Die Spannung zwischen Bequemlichkeit und Pragmatismus halten wir, lieber Herr Westerwelle, als halbwegs liberale Leser und Schreiber schon aus. Allerdings sollte man den 15-Jährigen, die sich allmählich an den neuen Duden gewöhnen, kurz vor ihrem Abitur im Jahr 2005 durch eine reformierte Reform-Reform nicht wieder ein X für ein U vormachen wollen. Das wäre fahrlässig - und noch eine kleine Bildungsmisere.

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