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Kultur: Land der eisernen Grenzen

Das Amsterdamer Van-Gogh-Museum zeigt Max Beckmanns Gemälde aus dem holländischen Exil

„Als Übergang ist Amsterdam nicht schlecht“, schreibt Max Beckmann Anfang August 1937 an den Kunstsammler Stephan Lackner. Zwei Wochen zuvor, am 19. Juli, hatte er im Radio Hitlers Rede zur Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst in München gehört. Einen Tag später, ebenfalls in München, sollte die Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet werden, in der 22 Beckmann-Bilder zu sehen waren. Der Maler, längst von den Nazis angefeindet, beschloss spontan, Deutschland zu verlassen. Holland, wo Beckmanns Schwägerin Hedda von Kaulbach lebte und der Maler viele glückliche Sommeraufenthalte am Meer verlebt hatte, schien zunächst ein leichtes, weil unverdächtiges Ziel auf dem Weg nach Paris oder Amerika. Doch ein Übergang sollte es nicht bleiben, der Kriegsausbruch verhinderte weiteres Fortkommen. Zehn Jahre lang, von 1937 bis 1947, lebt Max Beckmann in Amsterdam, acht Jahre davon ohne die Möglichkeit, das Land zu verlassen oder zu reisen. Ein „Land mit eiserner Grenze“ hat er sein Exil später genannt. Es war mit Sicherheit seine schwerste Zeit.

So ist die mit über 100 Werken reich bestückte Ausstellung „Max Beckmann im Exil“ im Van-Gogh-Museum in Amsterdam eine späte Wiedergutmachung – und eine Entdeckung. Etwa ein Drittel von Beckmanns Gesamtwerk, darunter fünf der neun großen Triptychen, ist in diesen schwierigen, aber ungeheuer produktiven Jahren entstanden. Und es wird, anhand von Fotos, Briefen und persönlichen Gegenständen, vor Ort noch spürbar, wie viel Not und Kriegserfahrung in den Bildern steckt. Denn auch wenn es Beckmann in Amsterdam, verglichen mit anderen Flüchtlingen, materiell nicht schlecht ging: Die Erfahrung von Fremde und Anonymität, die Angst vor Verhaftung oder Einberufung zur Wehrmacht teilt er mit ihnen, und die Erfahrung des bitteren Hungerwinters 1944/45 auch. Eine „wahrhaft groteske Zeit, angefüllt mit Arbeit, Naziverfolgung, Bomben, Hunger und immer wieder Arbeit“ sei es gewesen, schreibt er im August 1945 an Stephan Lackner. Eine groteske Zeit, die unmittelbar Eingang in Beckmanns groteskes Welttheater gefunden hat.

Nicht, dass Max Beckmann Amsterdamer Motive direkt in seine Bilder aufgenommen hätte – das tat er nur selten, und dann eher in touristischer Oberflächlichkeit: Drei Mädchen mit typischen holländischen Hauben, Kanäle und Grachten, Windmühlen und Arbeiter in Holzschuhen tauchen vereinzelt auf. Nein, es ist eher die Atmosphäre, die Mischung aus aufgeheiztem Nachtleben und drangvoller Enge, die aus seinen Bildern spricht. Der Horror Vacui, der besonders aus Triptychen wie „Akrobaten“ (1939), „Schauspieler“ (1941) und „Carnaval“ (1942/43) spricht, die aneinandergedrängten Menschen auf engstem Raum, die lauernden Masken, das junge Paar, das in „Carnaval“ aus dem Paradies, dem Berliner Hotel „Eden“, vertrieben wird, sprechen eine deutliche Sprache. Immer wieder tauchen im Hintergrund „Sortie“-Schilder mit Pfeilen auf, oder Leitern, die zu Dachluken führen; Fluchtwege, die längst versperrt waren. Und noch deutlicher hält der Maler in Zeichnungen die drückenden Ängste fest. „Letzter Aufruf“ von 1944 schildert eine groteske Musterungsszene, „Selbstporträt unter Wasser“, ebenfalls 1944, das Gefühl des Ertrinkens, „A Walk (the Dream)“ 1946 die Angst vorm Absturz, Untergang.

Vor allem war es die Erfahrung, als Maler nicht geschätzt zu werden, die Anonymität, die Einsamkeit, die dem in den Zwanzigern in Deutschland als Malerstar gefeierten Beckmann in Amsterdam zu schaffen machten. Das Desinteresse allerdings war gegenseitig. Weder hat sich Max Beckmann, der ohnehin zur abweisenden Einzelgängerei neigte, je bemüht, richtig Niederländisch zu lernen oder Kontakt zu den Amsterdamer Kunstkreisen aufzunehmen – Französisch hatte er in seinen Pariser Jahren, Englisch in den letzten Jahren in den USA hingegen ordentlich, wenn auch mit starkem deutschen Akzent gesprochen. Noch wurde sein Werk in Amsterdam auch nur ansatzweise geschätzt. Eine einzige Ausstellung gab es 1938 im Kunstzaal van Lier – die Kritiker beurteilten Max Beckmann als „überschätzten deutschen Expressionisten“. So schrieb der Kunstkritiker Kasper Niehaus: „Für ein geübtes Auge, geschult an unserer eigenen, verfeinerten Art zu malen, sind diese groben Bilder ohne Nuancen nicht gerade ein Fest.“

Dass Beckmann in den Amsterdamer Jahren trotzdem passabel leben und arbeiten konnte, verdankte er den treuen deutschen Sammlern – und seinem Sohn Peter aus erster Ehe, der als Mediziner bei der Luftwaffe Beckmanns Bilder im Krankenwagen nach Deutschland schmuggelte und dort verkaufte. Bis heute gibt es nur drei Beckmann-Bilder in öffentlichen niederländischen Sammlungen, darunter das wunderbare „Doppelporträt Max Beckmann und Quappi“ von 1941 aus dem Stedelijk-Museum, welches das Malerehepaar feingemacht auf der Straße zeigt. Sie, mit Hut und Blume in der Hand, lehnt sich auf seine Schulter, er, den Arm selbstbewusst in die Seite gestützt, trägt in der Hand einen Hut, in dessen Innenfutter man „London“ lesen kann. London, auch das so ein unerreichbarer Fluchtpunkt.

Zurückgezogen hat das Ehepaar Beckmann nicht gelebt, in ihrer Wohnung Rokin 85, die Quappi in Aquarellen festgehalten hat. Anschauungsmaterial gab es genug, direkt vor der Haustür. Beckmann, der immer ein leidenschaftlicher Nachtmensch war, frequentiert auch in Amsterdam fast jeden Abend Bars, Cafés, Varietés und Bordelle, trifft sich mit Freunden und Bekannten oder beobachtet das Nachtleben. Die halb entkleideten Mädchen, das nackte Fleisch, die sexuelle Anziehung zwischen Mann und Frau kehren immer wieder, weniger als ausgelassene Lust denn als schicksalhafte Fessel. Der Maler selbst, die unverkennbar kräftige Gestalt, der schwere Schädel, der finster brütende Blick des Melancholikers ist auf mehreren Bildern zu sehen. „Ich bin nur ein Zuschauer in diesem Traum“, schreibt er 1943 in sein Tagebuch. Es war kein Wunschtraum, sondern ein Albtraum.

Im heutigen Amsterdam kann man noch immer auf Beckmanns Spuren wandeln: Von der Wohnung Rokin 85 in die Kinos, Clubs und Cafés, die Beckmann täglich frequentierte. Es war ja alles zentral und nah, alles im Umkreis von 500 Metern: das Krasnapolsky Hotel mit seinem prachtvollen Wintergarten, wo Beckmann mit Quappi gern zu Mittag aß, die Kunstgalerie Van Lier, wo seine erste und einzige Ausstellung stattfand, das edle Fischrestaurant Saur, wo man selbst zu Kriegszeiten noch Austern und Hummer bekam – Beckmann hat Hummer- und Austernesser auf mehreren Bildern gezeigt – und das Vergnügungsviertel zwischen Muntplein und Rembrandtplein mit dem heute noch existierenden luxuriösen Art-Deco-Kino Tuschinski, in dessen Lobby das Cabaret „La Gaité“ untergebracht war, das Beckmann für das Bild „Begin the Beguine“ als Anregung nutzte: ausgelassene Tänzer, hellere Farben – da deutet sich 1946 schon die Entspannung an. Im selben Jahr erhält er die Ausfuhrerlaubnis, um Werke in die USA zu verschiffen. „Damit fängt die Welt wieder für mich an, so sie im Spätherbst 1932 in Frankfurt/Main aufhörte“, schreibt er in sein Tagebuch. Am 29. August 1947 verlässt er gemeinsam mit Quappi auf der „Westerdam“ ab Rotterdam das alte Europa. Auf demselben Schiff reist auch ein anderer Exilant: Thomas Mann.

Bis 19. August im Van-Gogh-Museum Amsterdam, danach vom 13. September bis 6. Januar 2008 in der Pinakothek der Moderne München. Der Katalog (ndl./engl.) kostet 19,95 €, für die Münchner Etappe wird eine erweiterte Fassung auf Deutsch erscheinen (Hatje Cantz, ca. 50 €).

Christina Tilmann

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