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Kultur: Land des Lächelns

Brian Wilson führt in Frankfurt das verschollene Beach Boys-Opus „Smile“ auf

Auftritte großer Stars haben oft etwas Sakrales. Das einzige Deutschland-Konzert von Brian Wilson sollte aber nichts weniger sein, als die Vollendung eines Mythos. Das 1966 konzipierte, aber nie veröffentlichte Album „Smile“, mit dem der schon in jungen Jahren auftrittsscheue Wilson nun durch Europa tourt, gilt als eines der letzten großen Geheimnisse der Popgeschichte.

Vor der Frankfurter Alten Oper verteilt eine junge Frau am Mittwochabend Zettel. „Bringt IHM viel, viel Lächeln entgegen – er registriert es!“ Ob sie damit Recht hat, wird man später nur vermuten können. Drinnen erlischt das Licht, bevor Brian die Bühne betritt. Mit Taschenlampen schlendert ein kleiner Trupp auf die Bühne, der ein paar Stücke spielt, begleitet nur von zwei Akkustikgitarren. „Go to Hawaii“, intoniert das Gesangsensemble, das sich aufbaut wie für ein Klassenfoto. Es ist nur das Vorspiel.

Bei den Klängen von „Sloop John B.“ steht der Sound plötzlich wie eine Wand. Im Hintergrund zupft das Stockholm String’n’Horn-Ensemble die Geigen. Später werden immer neue Instrumente auftauchen und wieder verschwinden: Hörner, Saxophon, Querflöte, Banjo. Am Ende stehen schließlich zwanzig Musiker auf der Bühne. Brian Wilson sitzt ganz vorne: eine fragile Gestalt, dessen kalkige Blässe das schwarze Hemd und die schwarze Hose noch zusätzlich unterstreichen. Vorsichtig setzt er sich an das Keyboard. Die Hände bewegt er so mechanisch, als sei jede Bewegung mühsam einstudiert.

Seine schwierige Biografie kennt wohl fast jeder im Saal: 1942 in Kalifornien geboren, bringt er sich als Kind Klavier bei – um den Prügeln seines Vaters zu entgehen. Mit seiner ersten Band Pendletones, von der Plattenfirma kurzerhand in Beach Boys umgetauft, bereichert Wilson jenen Gitarrensound, der sich als Soundtrack für das Lebensgefühl der Surf-Generation blendend verkaufte, mit einer Art weißem Doo-Wop-Gesang.

Hinter der Fassade der adretten all american boys in ihren Streifenhemden verlief das Leben des Brian weniger lustig. Die Autobiografie „Wouldn’t it be nice“ (1991) ist das Psychogramm eines von Selbstzweifeln und krankhaftem Ehrgeiz Besessenen. Wilson produziert Hits am laufenden Band (soeben erschien im Kölner Fossil Verlag der Beach- Boys-Singles-Katalog „This Whole World, 300 S., 49 €). Mitte der Sechziger ist für Wilson der ewige Sommer vorbei. Gegen den Widerstand seiner Plattenfirma arrangiert er das experimentelle Album „Pet Sounds“, das für viele noch immer das beste Album der Popgeschichte ist – neben „Sgt. Peppers Lonely Hearts Club“ von den Beatles. Wilsons Vision ist damit noch immer nicht verwirklicht. 1966 will er eine völlig neue Musik schaffen, „eine Teenager-Symphonie zum Lobe Gottes“. Um sich dauerhaft bei Gott „einzuklinken“, kauft er für mehrere tausend Dollar Dope.

Im Schlafzimmer hat er eine Sauna installiert und in die Wand ein Loch gebohrt, durch das er sich den Rauch von Haschisch blasen lässt. Die Realität zerlegt Wilson ebenso wie seine Musik in kleine Einzelteile, um sie immer wieder zu einem neuen, farbenprächtigen Ganzen zusammenzufügen. „’Smile’ war nicht nur ein Album, es war eine Ära der Kreativität“, sagte Wilsons Weggefährte David Anderle einmal. Als er an „Smile“ arbeitet, hat Wilson mehrere Nervenzusammenbrüche hinter sich und die bad vibrations, in der er sich das Gewicht eines Nilpferdes anfressen wird, noch vor sich. Doch das Rock-Evangelium des Lächelns erscheint. Von seiner Band entfremdet, ist Wilson mehr damit beschäftigt, die Fliesen auf dem Boden zu zählen oder vor vermeintlichen Lauschangriffen zu flüchten. Um „Smile“ ranken sich seitdem Legenden. Auf Bootlegs erschienen Fragmente, doch nicht mal die übrigen Beach Boys - mittlerweile fast alle tot – konnten sie ohne Wilson zusammenfügen.

Dieses Geheimnis wurde nun in Frankfurt gelüftet. Es sind viele Stücke darunter, die man rekonstruiert hat. Den Anfang macht „Our Prayer“, den Schluss „Good Vibrations“ – jene in sechs Monaten mit 50000 Dollar Produktionskosten aufgenommene „Taschensymphonie“. Dazwischen finden sich Stücke wie „Workshop“ oder „Barnyard“. Entscheidend sind in diesem Klangereignis aber weniger die einzelnen Titel. „Smile“ ist durch und durch Konzept, ein intellektuelles Arrangement, ein Gesamtkunstwerk. Fast räumlich steht die Musik im Saal, mehrstimmige Gesangsharmonien schrauben sich in schwindelnde Höhen, bis sie einfallende Bässe wieder erden. Zwischendurch gibt es Fuzz-Soli, die Musiker um Darian Sahanaja bearbeiten Säge, Blech, Bohrmaschine, Gemüse.

Am Ende kündigt Brian Wilson ein neues Album an. Auf der Leinwand hinter der Band leuchtet „Smile“ mit imperativem Ausrufezeichen. Im Publikum lächeln nach gut anderthalb Stunden sowieso alle. Was wohl Brian Wilson während dieses Trips in die eigene Vergangenheit empfindet? Sein Blick bleibt aber leer. Nur einmal, als er einem Fan in der ersten Reihe die Hand schüttelt, tut auch er es für zwei Sekunden: Er lächelt.

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