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Kultur: Landschaft mit Clowns

Deutsches Theater: Dimiter Gotscheff befragt das Orakel Heiner Müller

Wiederbegegnungen mit Heiner Müllers Werk verlaufen überraschend. Jetzt ist er bald sechzehn Jahre tot – und wir sind um ebenso viele Jahre älter, wenn auch nicht unbedingt weiser –, und immer ist da eine leere Stelle, ein Phantomschmerz. Es liegt wohl daran, dass nach ihm kein Dramatiker oder Lyriker mehr mit solcher Schärfe Gegenwart und Geschichte, Politisches und Privates durchdrungen hat.

„Verkommenes Ufer. Medeamaterial. Landschaft mit Argonauten“: Allein der Monster-Titel dieser Textsammlung aus den frühen achtziger Jahren hatte und hat etwas Magisches. Es ist die Verbindung von Spät-DDR, antiken Mythen (1982 war auch der reale Sozialismus ins Mythische abgeglitten) und Müllers Vorschau auf einen in Müll und Krieg versinkenden siegreichen Kapitalismus. Das macht diese Texte für heutige Ohren aber auch alt, sie sind klassisch in jeder Bedeutung des Worts.

Der Regisseur Dimiter Gotscheff kennt keine Müller-Moden, er beschäftigt sich seit den Sechzigern mit Heiner. Er befragt ihn immer wieder, nimmt ihn als Orakel, hört tief hinein in diese Texte, die sich im November 2011 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters eher lyrisch als dramatisch geben. Dieser Müller-Argonauten-Abend ist zugleich befreiend und anstrengend, erhellend wie verdunkelnd. Margit Bendokat, Almut Zilcher und Wolfram Koch grinsen durch eine Tür im Eisernen Vorhang fröhlich ins Publikum; typische Müller-Clowns und GotscheffKatastrophiker. Mit bunten Schuhen laufen sie über die leere Bühne, die ihre entblößte Maschinerie zeigt, ihre mechanische Poesie; die Züge an den Seitenwänden, Scheinwerferbatterien, Luken in der Drehbühne, durch die Wolfram Koch an die Oberfläche kommt.

Er klammert sich an eine lange gelbe Eisenstange, sie ist seine Waffe, seine Männlichkeit, sein Handicap. Wie jenes Brett, jene „Latte“, mit der er in Herbert Fritschs „Spanischer Fliege“ an der Volksbühne eine fabelhafte SlapstickNummer abzieht. Koch als Jason, der Primat, der Krieger. Herrlich kann er Pausen setzen, Begriffe dehnen, und es ist eine Leichtigkeit in seinem Monolog, die erst in der größeren Distanz zu Müllers Text entstehen konnte. Jason, der Betrüger, der Dieb vom Goldenen Vlies, strotzt bei Koch vor Energie, aber es ist keine kriminelle. Ein sympathischer Schuft.

Ein Wunder also, oder kein Wunder, dass Medea so an ihm leidet. Almut Zilcher, im eleganten Abenddress, spielt nun überraschend ins Tragische hinein, fast klassisch ihr Wehklagen, ihre Flüche. Da ist nichts um sie herum, nur Leere, Kälte, und sie hat auch keinen Text, an dem sie sich wärmen könnte. Müller hat seine Subjekte, sofern da Psychologie oder Einfühlung überhaupt eine Rolle spielen, nie geschont: Tote auf Freigang.

Gotscheffs Regie gibt sich sparsam, rational, so kennt man es. In dieser Grabesluft ist jeder auf sich allein gestellt, drei Soloauftritte reihen sich aneinander. Der letzte Teil des von Mark Lammert ausgestatteten Triptychons schlägt noch einmal einen völlig anderen Ton an. Es ist ein Text aus dem Jahr 1993, „Mommsens Block“. Müller identifiziert sich in diesem Nachwende-Dokument mit dem Historiker Theodor Mommsen, der den letzten Band seiner „Römischen Geschichte“ nicht mehr zu schreiben in der Lage war. Er hatte eine existenzielle, schreiberische, intellektuelle Blockade – und 100 Jahre später ekelt es Müller im kapitalistisch wiedervereinigten Deutschland, zu dem ihm nichts mehr einfallen mag.

Margit Bendokat zerstört diesen Text mit lustiger Berliner Art, es ist, als würde Angela Merkel eine kabarettistische Rede über die Bundesrepublik halten, gespiegelt im römischen Kaiserreich. Sie kanzlert Müller ab und macht ihn auch wieder verstehbar, weil sie ihm die Schwere nimmt und Luft zum Atmen gibt. Ein Experiment mit offenem Ausgang. Besser gelungen als manche fertige Produktion.

Wieder am 17. und 26. November

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