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Goldjunge. Lang Lang garantierte der Klassikbranche bislang glänzende Einnahmen.

© Gregor Hohenberg/Universal

Lang Langs Comeback: Alles auf Anfang

15 Monate musste Lang Lang wegen einer Sehnenscheidenentzündung pausieren. Jetzt drängt der Starpianist mit seiner CD „Piano Book“ zurück auf die Weltbühne.

Als er im Juni 2012 seinen 30. Geburtstag feierte, in Berlin, mit einem Auftritt in der O2-World am Ostbahnhof, der natürlich live im Fernsehen übertragen wurde, da kündigte Lang Lang an, künftig nicht mehr ganz so häufig auftreten zu wollen. 150 Konzerte pro Jahr seien auf die Dauer einfach zu viel. Aber wie das mit den guten Vorsätzen ist: So richtig hat es dann doch nicht geklappt. Auftritt folgte weiterhin auf Auftritt, Lang Langs Schlagzahl blieb enorm hoch – bis er sich dann im März 2017 eine Sehnenscheidenentzündung zuzog, das Pianisten-Äquivalent zum Tennisarm.

Er war mal wieder unter Zeitdruck, musste dringend Ravels „Konzert für die linke Hand“ einstudieren, hatte Schnupfen, war natürlich am Abend zuvor als Solist aufgetreten. Darum verkrampfte er beim Üben: „Statt meinen Körper auf dem Klavierstuhl mitzubewegen, blieb ich wie festgenagelt vor der Mitte der Tastatur sitzen“, erzählte er jüngst in einem Interview. „Ein fataler Fehler.“

Zwei deutsche Spezialisten haben sich um ihn gekümmert während der 15-monatigen Zwangspause, in der er die schmerzende linke Hand nicht bewegen durfte. Ja, er sollte sogar aufpassen, bei Reden nicht zu sehr zu gestikulieren, erklärten ihm die Ärzte. Da ein Lang Lang im internationalen Klassikbusiness aber eigentlich unabkömmlich ist, hat er sich dann doch ein paar Mal gezeigt, bei der Saisoneröffnung der New Yorker Carnegie Hall im Herbst 2017 beispielsweise, und zwar zusammen mit einem Schüler, der den Part der linken Hand übernahm, sodass der Star nur die rechte benutzen musste.

Im Juli 2017 kam von medizinischer Seite dann das Signal: alles wieder in Ordnung. Sein Comeback feierte Lang Lang beim Tanglewood-Festival, allerdings nicht, wie ursprünglich geplant, mit Tschaikowskys gewittrigem 1. Klavierkonzert, sondern mit pianistischer Schonkost, Beethovens 2. Klavierkonzert. Und er nahm auch gleich wieder ein Album auf. Das war er seiner Plattenfirma schuldig, der Deutschen Grammophon, die ihn 2003 unter Vertrag genommen und international promotet hatte. Okay, 2010 war er zu Sony gewechselt, angeblich für drei Millionen Euro, im Februar 2017 aber kehrte er für eine unbekannte Transfersumme zurück – und fiel keine vier Wochen später aus. Alle Räder stehen still, wenn sein kranker Arm es will. Ein echter Gau: der größte anzunehmende Umsatzausfall.

Das Album nach dem Stillstand: Musik für halbwegs begabte Amateurmusiker

Warum es dann aber doch ganze sieben Monate bis zum Erscheinen der CD am heutigen Freitag dauerte, warum die Deutsche Grammophon das Album nicht schon zum Weihnachtsgeschäft 2017 lanciert hat, bleibt ein Rätsel. Ebenso wie die Frage, ob der bekannteste Klassikkünstler des Planeten wirklich wieder ganz genesen ist. Denn statt des Virtuosenrepertoires, das er bislang gespielt hat, präsentiert Lang Lang auf dem „Piano Book“ nun 29 Stücke, die auch jeder halbwegs begabte Amateurmusiker bewältigen kann.

Er wolle damit an seine eigenen Schülertage anknüpfen, behauptet der Pianist im Booklet. Denn diese Musik – Beethovens „Für Elise“, Mozarts „Sonata facile“ oder auch Schumanns „Wilder Reiter“ – habe seine Kindheit geprägt. Allerdings nur sehr kurze Zeit. Denn bekanntlich hat der Chinese schon als Fünfjähriger in seiner Heimatstadt Shenyang einen Klavierwettbewerb gewonnen.

Das Storytelling aber hört sich gut an. Sympathisch, geerdet. Wir haben alle mal klein angefangen. Ganz groß ist dagegen der Bahnhof, den die Plattenfirma dem Es-war-einmal-Album bereitet. Bevor die Tagespresse bemustert wurde, waren schon die Hochglanz-Zeitschriften dran. Im aktuellen „FAZ-Magazin“ begegnet man Lang Lang in der Rubrik Mode: Im Pariser Hotel Les Bains posiert der Pianist in Haute-Couture-Streetwear von Louis Vuitton und Dries van Noten. Die „Gala“ gibt sich dagegen mit den offiziellen PR-Fotos zufrieden, auf denen der Künstler goldene Sneakers zum weißen Anzug trägt.

Wie aber ist nun der künstlerische Ertrag dieser Renaissance? Höflich gesagt: befremdlich. 106 Minuten bietet das Doppelalbum, und wenn dabei Neoklassik von Max Richter zwischen Beethoven und Mendelssohn auftaucht, wenn Francis Poulenc neben Hu-Wei Huang steht, Filmmusik ebenso ihren Platz hat wie populäre Klänge aus Korea und Schweden, dann erscheint das zunächst als zeitgemäße Version des Sammelalbums schöner Melodien, wie es Verleger vor der Erfindung des Radios und Grammophon für den Hausgebrauch herausbrachten. Lang Lang allerdings geht noch einen Crossover-Schritt weiter: Chopins „Regentropfen-Prélude“ klingt bei ihm genauso wie Yann Tiersens „Amélie“-Walzer. Süßlich-klebrig nämlich, übertrieben bedeutungsschwanger, in wattigen Pedalnebel gehüllt.

Interessant ist ein Vergleich der Lang-Lang-Interpretation von Debussys „Clair de lune“ mit der seines Pianistenkollegen Seong-Jin Cho. Als der Koreaner bei der letzten Asien-Tournee von Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern für den Chinesen einspringen durfte, gab das seiner Karriere den entscheidenden Kick. Auch Seong-Jin Cho ist bei der Deutschen Grammophon unter Vertrag, sein Debütalbum hat er Debussy gewidmet. Sensibel sorgt Cho beim „Clair de lune“ für Atmosphäre, lässt das Mondlicht silbern schimmern, atmet mit der Musik, spielt raffiniert mit Licht- und Schattenwirkungen, kurz, er macht spürbar, wie sich der Komponist hier auf neues Terrain wagt, raus aus dem bürgerlichen Salon, in die Freiheit der individuellen Impression.

Sein Vater drillte ihn einst auf Fingerfertigkeit: Nur der Schnellste kommt ins Ziel

Lang Lang braucht für „Clair de lune“ fast 25 Prozent mehr Zeit. Weil er es um der pathetischen Geste willen ausbremst, weil er rührselig wird, emotional zu dick aufträgt, bis hin zum letzten, prätentiös hingetupften Arpeggio. Der Pierrot mit der Mondsichel erscheint vor dem inneren Augen, die Träne auf seiner Wange ist ein Swarowsky-Kristall.

Von der „Gala“ gefragt, welche der Kompositionen ihm besonders am Herzen liege, nennt der Pianist Tekla Badarzewska-Baranowskas „Gebet einer Jungfrau“ – weil es im China seiner Jugend die Erkennungsmelodie der Obst- und Gemüselieferanten war. Die biedermeierliche Miniatur ist aber auch der Prototyp des sentimentalen Rührstücks, von Puristen geschmäht als Höhere-Töchter-Kitsch.

Als besonders feingeistiger Werkdeuter war der 36-Jährige nie bekannt. Sein Vater hat ihn einst mit der erbarmungslosen Strenge einer russischen Eiskunstlauftrainerin auf Fingerfertigkeit gedrillt, das Klavierspiel erschien ihm stets als sportlicher Wettbewerb: Nur der Schnellste kommt als Erster ins Ziel. Wer nun aber darauf gehofft hatte, Lang Lang könnte die Auszeit dazu genützt haben, um seinen Geschmack und sein Stilempfinden zu verfeinern, indem er sich in Aufnahmen der ganz großen Interpreten versenkt oder sich mit weisen Pädagogen über die Partituren beugt, sieht sich enttäuscht. Stilistisch ist das „Piano Book“ ein Dokument fortschreitender Naivität.

Besonders gestrig kommt Bachs C-Dur-Präludium aus dem „Wohltemperierten Klavier“ daher. Von keinerlei Bewusstsein für die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis angekränkelt spielt Lang Lang es mit extra viel Pedal, bürstet es auf eine romantisierende Rhetorik des vorvergangenen Jahrhunderts hin, wie sie heutzutage eigentlich niemand mehr anzubieten wagt. Ausgerechnet dem Thomaskantor aber will sich Lang Lang künftig ganz intensiv zuwenden. Dessen komplexeste Komposition, die „Goldberg Variationen“, wird er als Nächstes auf CD herausbringen und im Frühjahr 2020 dann auch weltweit live darbieten. Günther Batel merkt im Konzertführer „Meisterwerke der Klaviermusik“ zu dem 30-teiligen Zyklus an: „Der Nachvollzog des Werkes setzt bei Spielern wie Hörern eine geistige Arbeit voraus wie bei keinem anderen Werk der Klavierliteratur.“

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