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Kultur: Lasciate mi cantare

Die Konzertreihe "Musica Nuova" stellt Neue Musik aus Italien vorVON VOLKER STRAEBELEigentlich ist die Zeit vorbei, nach nationalen Identitäten in der Kunst zu fragen, zumal in Mitteleuropa.Regionale Eigenheiten haben im internationalen Gefüge des Kunst- und Musiklebens längst an Bedeutung verloren.

Die Konzertreihe "Musica Nuova" stellt Neue Musik aus Italien vorVON VOLKER STRAEBELEigentlich ist die Zeit vorbei, nach nationalen Identitäten in der Kunst zu fragen, zumal in Mitteleuropa.Regionale Eigenheiten haben im internationalen Gefüge des Kunst- und Musiklebens längst an Bedeutung verloren.Und werden sie dennoch bemüht, erscheinen sie eher als exotisch gewordener Folklorismus.Wenn sich bis zum 28.April ein Festival zeitgenössischer Musik aus Italien widmet und im kommenden Monat verstärkt Neue Musik aus Israel in Berlin zu hören sein wird, werden also jeweils divergierende Komponistenpersönlichkeiten zusammengebracht, denen zwar der kulturelle und kulturpolitische Hintergrund ihrer Heimat gemein ist, nicht jedoch ihre Art, mit diesem umzugehen.Ein Umstand, der Luca Lombardi zu der Feststellung verleitete "ich bin ein internationaler, aber kein italienischer Komponist". Lombardi beschließt bald seinen einjährigen Aufenthalt als DAAD-Stipendiat in Berlin, Giulio Castagnoli und Stefano Giannotti beginnen gerade den ihren.Nicola Sani, der sich als Eratopreisträger des italienischen Außenministeriums sechs Monate lang in der Stadt aufhielt, hat die einwöchige Konzertreihe "Musica Nuova" für den DAAD, das Italienische Kulturinstitut und den SFB kuratiert.Sie verspricht einen guten Überblick der jungen italienischen Musik zu bieten, wobei die derzeit besonders rührige Komponistengeneration der Dreißig- bis Vierzigjährigen im Vordergrund steht. "Eigentlich ist es ein Wunder, daß in Italien überhaupt noch solche Konzerte stattfinden", entfährt es Sani im Gespräch, und Gianotti fügt hinzu: "Aber was wollen Sie, wir sind eben Künstler.Irgendwie gelingt es doch immer." Im Gefolge der drastischen Sparmaßnahmen der letzten Jahre wurden in Italien nicht nur drei der vier großen Rundfunkorchester und -chöre aufgelöst, sondern auch das Kultusministerium selbst.Die Folgen liegen auf der Hand: Das Radio kann seiner Rolle als Mittler und Förderer zeitgenössischer Musik nur noch sehr bedingt nachkommen, und staatliche Aufträge bleiben praktisch aus.Viele Komponisten haben das Land verlassen und Paris und Brüssel zu Hochburgen italienischer Musik gemacht.Die, die blieben, haben nicht nur mit den desolaten Strukturen des Veranstaltungsbetriebs zu kämpfen, sie klagen auch über den mangelnden Austausch innerhalb des Landes.Zwar gibt es Festivals für Neue Musik, doch werden nur die wenigsten kontinuierlich durchgeführt und feste Treffpunkte für die Szene, etwa Darmstadt oder Donaueschingen vergleichbar, fehlen ganz.Außerdem wird dort nach Schätzungen Giannottis nur etwa zu 20 Prozent italienische Musik gespielt.Wer informiert sein will, muß also im Lande umherreisen. Und dies scheint sich in jüngster Zeit durchaus zu lohnen.Die drei Komponisten, mit denen ich sprach, berichteten übereinstimmend von der Lebendigkeit der Szene, die sich von den akademischen Zentren im Norden nun auch bis in den Süden Italiens erstreckt, wo in Performance und Live-Elektronik der Einfluß amerikanischer Popkultur wie auch der experimentellen Musik Italiens der sechziger Jahre spürbar wird.Stefano Gianotti vertritt mit seinen mitunter improvisatorischen Stücken diese Richtung.Da wird eine E-Gitarre perkussiv eingesetzt oder es finden sich traditionelle Instrumente mit klingenden Spielzeugen konfrontiert.Sein den Lebensaltern gewidmeter Opernzyklus verschmilzt schließlich Bühnenspiel, Multimedia und Radiokunst - auf sein für Berlin projektiertes Stück mit Kindern aus ganz Europa darf man gespannt sein. Nicola Sani folgt in den Zuspielbändern einiger seiner Werke sichereren Wegen, wenngleich das rhythmische Verhältnis von Tonband und Instrumentalist oft nicht fixiert ist.Die elektronischen Klänge markieren dann einen Raum, in dem sich der reale Musiker quasi schwimmend bewegt.Der erfolgreiche Opernkomponist denkt also auch in seiner Kammermusik in räumlichen Dimensionen und beschreibt etwa die vier Instrumentalisten von seinem meditativen Nachtstück "A time for the evening" (1997) nach T.S.Eliot als Schauspieler, die die Mikrostruktur der Klangfarbenschichtung ausformen. Seinem Hang zum Musiktheater hat auch Luca Lombardi nachgegeben, der gerade eine Oper über Schostakowitsch vollendet.Dem 1945 Geborenen widmet das Ensemble Modern ein Portraitkonzert, das Friedrich Goldmann dirigiert, mit dem Lombardi von seinem Studienaufenthalt bei Paul Dessau her bekannt ist.Das Spektrum reicht hier von einer geschäftig eilenden Verbeugung vor Hans Eisler, "Non Requiescat" (1973), in die unvermittelt das Solidaritätslied einbricht, bis zu dem im vergangenen Jahr entstandenen, in dunklen Mikrointervallen bohrenden Ensemblestück "Infra".Auch daß nichts "Italienisches" an der Musik Lobardis mehr zu diagnostizieren ist, gehört zu den Beobachtungen, die bei "Musica Nuova" zu machen sind.Ein schönes Kompliment für den politischen und musikalischen Dialektiker. Konzerte im SFB: heute Orchester der Emilia-Romagna, 25.4.Deutsches Symphonie-Orchester, 26.4.Ensemble Modern; Gesprächskonzerte am 23.April in der DAAD-Galerie, am 27.und 28.4 im Istituto Italiano di Cultura; Beginn immer um 20 Uhr.

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