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Kultur: Lass tausend Tränen regnen

Alles Loser: „Prinz Friedrich von Homburg“ am Berliner Gorki-Theater

Wenn man als Zuschauer, bevor das Stück beginnt, kurz an den Bühnenrand tritt und die braune Ploppverschlussflasche betrachtet, die da steht, dann offenbart sich bereits der Geist dieses „Prinzen Friedrich von Homburg“, den Armin Petras am Maxim-Gorki-Theater inszeniert. „Märkischer Landmann“ steht auf dem Etikett, Schwarzbier, halber Liter.

Dann wird’s dunkel, Wasser tröpfelt, Schritte tocken auf der Bühne, die Flasche ploppt. Licht. Da steht er, Friedrich Arthur von Homburg (Robert Kuchenbuch), im Bühnensprühregen, Rücken zum Publikum, geschorener Schädel, schwere Stiefel. Ein Klischee, ein märkischer Landfascho frisch aus der Unterschichtendebatte. Dazu eine heisere Ballade der Böhsen Onkelz: „Ich zeige dir, was es heißt, allein zu sein, ich trinke tränenschwarzen Wein.“ Auf der Bühnenrückwand läuft schwarzweißes Video-Geflacker, ein tapsiges Kleinkind, gründelnde Aale. Ein Kopffilm. Der traurige Skinhead sinkt zu Boden, dann geht’s los.

Es ist Krieg in dem Stück, Brandenburger gegen Schweden, und der junge Reitergeneral von Homburg hat dem Kurfürsten Friedrich schon zwei Siege verbockt, für die bevorstehende Schlacht gilt deshalb die Order: erst auf Befehl angreifen. Leider aber passt Homburg vor lauter Verknalltsein in des Fürsten Nichte bei der Lagebesprechung nicht auf: „Wat? Icke?“ Natürlich greift er dann doch eigenmächtig an und siegt und muss trotzdem vors Kriegsgericht. Der Prollprinz bohrt sich an der Schläfe: „Träum ich? Wach ich? Leb ich?“ Aber Befehl war Befehl, der sonore Fürst (Peter Kurth) unterzeichnet das Todesurteil. Willkommen im dramatischen Konflikt.

Katrin Brack lässt es dauerregnen in diesem Stück, nach ihren Volksbühnen-Experimenten mit Rauch, Schaum und Konfetti ist es am Gorki die Sprinkleranlage, die jedes Bühnenbild ersetzt. Die Figuren schlittern auf dem schwarzen Plastikboden herum, blinzeln sich das Wasser aus den Augen, es spritzt, wenn sich der alte Oberst Kottwitz (Andreas Haase) an die durchtränkte Uniformbrust klopft. Und wenn er ruft: „Ein schöner Tag, so wahr ich Leben atme!“, dann ist klar, dass überhaupt nichts schön ist, im Kriegsgebiet des Kleist’schen Nationalpathos. „Ich lass es Tränen regnen“, singen die Onkelz.

Da hilft nur Natalie. Die entringt dem Fürsten das Zugeständnis, Homburg solle selbst entscheiden, ob er Unrecht getan habe oder nicht. Und Homburg fängt tatsächlich an zu überlegen, und plötzlich ist es Sandra Bayrhammer, die sich zuvor mit Kleists Sprache abgemüht hatte, plötzlich ist es ihre verliebte Natalie, die sich vom Text befreit und ihn dadurch erst lebendig macht, mit Wut auf den Zögernden, mit hibbeliger Hoffnung und Mittelfinger gen Himmel.

Aber Homburg fügt sich. Lässt sich die Augen verbinden und erwartet sein Schicksal, Gesetz bleibt Gesetz. Da stoppt der Regen. Erlösung, innere Sonne. Der Tropf kann begnadigt werden: „In drei Tagen hebt der Krieg wieder an.“ Schon schüttet’s wieder. „In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“, brüllt Homburg, die Flasche in der Hand. Während in Kleists Drama die träumerische Eingangsszene den Boden für die folgenden Verwicklungen bereitet, scheint bei Petras gleich die ganze Handlung die bierselige Früher-war-alles-besser-Fantasie eines märkischen Losers zu sein – von starken Vätern und schönen Jungfrauen, von ehrlichem Kampf und bunten Fahnen.

Ist es das, was heute fehlt in einer öden Gegend, die unter miesem Wetter leidet? Wo es nichts zu tun gibt als zu saufen und wirrpatriotisch wunschzuträumen und anschließend auf den leeren Landstraßen, die man am Ende auf Video sieht, Schlangenlinien zu fahren? Nein, ist es nicht. Und Petras weiß das. Hat aber auch keine lebbare Alternative vorzuschlagen. Als die anderen Schauspieler sich zum Applaus verbeugen, steht Homburg immer noch mit dem Rücken zum Publikum. Er steht allein, bis der Saal ganz leer ist.

Wieder morgen u. Mittwoch, 19.30 Uhr.

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