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Kultur: Laufen und kaufen

Auf der 36. Art Basel boomt die Gegenwartskunst wie nie zuvor

Es gibt diesen kurzen Moment atemloser Spannung auf dem Messeplatz, unmittelbar bevor die Art Basel für die eingeladenen Sammler am Preview-Vormittag ihre Tore öffnet. Nur äußerlich gelassen nähern sich dem Eingang die happy few, die bereits vor der offiziellen Vernissage am Abend in die Messehallen dürfen. Doch Schlag elf ist kein Halten mehr, die Türen öffnen sich. Bei der weltweit wichtigsten Messe für zeitgenössische und moderne Kunst will jeder der Erste sein. Zielstrebig werden Stammgalerien angesteuert, bereits reservierte Bilder noch einmal begutachtet und dann schnelle Entscheidungen getroffen. Bereits um fünf nach elf war das Gemälde „Profanation of Spring“ (1945) von Max Ernst für 500000 Euro verkauft, erzählt der Kunsthändler Dieter Brusberg aus Berlin. Ein Pariser Sammler hatte sich vor Wochen als Interessent vormerken lassen, nachdem ihm das in Grün- und Blautönen gehaltene Gemälde, bei dem die Grenzen zwischen wuchernden Pflanzen und seltsamen Phantasiefiguren fließend sind, im Katalog aufgefallen war. Gezögert hat er in Basel dann keinen Moment mehr.

Vielleicht wollte sich der Kunstliebhaber angesichts des überreichen Angebots auch nicht weiter verführen lassen. 275 Galerien wurden unter 810 Bewerbern ausgewählt, darunter Großkaliber wie Marlborough, Landau Fine Art, Gagosion und Hauser & Wirth, die auf zwei Stockwerken rund 10000 Werke von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart präsentieren. Dabei hat der Anteil an allerjüngster Kunst im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zugenommen. Doch Basel bleibt ein einzigartiger Ritt durch die Kunstgeschichte, vorbei an ihren Hauptdarstellern und Nebenfiguren – auf engstem Raum.

Ein Picasso-Kabinett ist bei Krugier (Genf/New York) zu bewundern, das mit Beispielen aus verschiedenen Werkphasen jedes Museum zieren würde. Eine Rarität stellt Max Beckmanns unvollendetes Gemälde „Der Brillenladen“ aus seinem Todesjahr 1950 (600000 Dollar) bei Mitchell-Innes & Nash aus New York dar. Die Münchener Galerie Thomas feiert ihr 40-jähriges Bestehen mit einer musealen Präsentation: von einem Jawlenski-Stillleben (7 Millionen Euro) und dem schönen Frauenkopf „Helene“ bis hin zum Calder-Mobile (1,48 Millionen Dollar) und einem farbenfrohen Gemälde von Jim Dine aus dem Jahr 2003. Über Verkäufe wird hier vorerst nichts verraten. Diskretion wird in Basel groß geschrieben.

Entsprechend vage bleibt dann auch die Preisangabe für den zwei Meter hohen grünen Riesendiamanten von Jeff Koons aus dem Jahr 2005 bei Gagosian – mit „zwei bis vier Millionen Dollar“. Schließlich gebe es eine Auflage von sechs Exemplaren, die mit jedem Verkauf teurer wird. Nur wenige Meter weiter ragt in ähnlicher Dimension eine beeindruckende, gelb lackierte Skulptur von Tony Cragg bei der Galerie Buchmann auf. Koons und Cragg – zwei Bildhauer, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Und doch gehören solche Blickachsen zu den Reizen der Messe. Drei Tonnen schwer steht Craggs „Declination“ (550000 Euro) in sich gedreht und scheinbar schwebend leicht auf zwei Punkten. Berlin kann sich freuen, wenn die in Köln und Lugano ansässige Galerie Buchmann im September in der Charlottenstraße zusätzliche Räume bezieht.

Während der Besucher im Untergeschoss in museales Schwelgen gerät, herrschte in der Etage darüber mit vornehmlich jüngerer Kunst zeitweise Stimmung wie beim Schlussverkauf. Menschentrauben bilden sich bei Johnen & Schöttle (Köln/München/Berlin). Hektisch werden ausliegende Ordner durchblättert, um noch eins der begehrten kleinen Gemälde von dem 1981 in Litauen geborenen Janis Avotins (3000–3500 Euro) oder dem Polen Rafal Bujnowski (2800 Euro) zu ergattern. Das Format ist dabei sekundär: Genauso schnell verkauft sich auch das zwei mal drei Meter große Gemälde „Suburbia“ des Berliner Malers Armin Böhm für 15000 Euro. Rege Nachfrage gibt es bei den großformatigen Fotografien von Candida Höfer (38000 Euro) und Thomas Ruffs neuer Serie aus grob gepixelten „jpgs“ (60000 Euro), die auch auf der Biennale in Venedig zu sehen ist. Dieser „Venedig Effekt“ stellt sich mit schöner Regelmäßigkeit alle zwei Jahre ein: Arbeiten der Französin Annette Messager, die den Goldenen Löwen gewann, sind heiß begehrt. Die Skulptur „Engel“ des deutschen Biennale-Vertreters Thomas Scheibitz findet für 45000 Euro bei der Galerie Tanya Bonakdar aus New York sofort einen Liebhaber.

Auch in ihrem 51. Jahr wird die Art Basel mit der Sonderhalle Art Unlimited, den Förderkojen Statements und dem umfangreichen Rahmenprogramm ihrer Führungsposition gerecht. Doch der internationale Boom der Gegenwartskunst und die enorme Nachfrage nach den immer gleichen Stars der Szene führen selbst in Basel zu Déjà-vu-Erlebnissen: Sah der Stand von Modern Institute aus Glasgow nicht im letzten Jahr genauso aus? Und hingen ähnliche Gemälde von Havekost und Nitsche nicht schon einmal bei den Gebrüdern Lehmann aus Dresden?

Vielleicht hat sich die Galerie neugerriemschneider aus Berlin deswegen diesmal scheinbar entzogen. Sie zeigt eine Installation von Rirkrit Tiravanija. Er hat den Eingang zur Messekoje mit Pflastersteinen zugemauert. Auf einem sind die Worte „Ne travaillez jamais“ zu lesen. Wer hier nie arbeitet, bleibt offen. Aber Tiravanijas Anspielung auf die französischen Situationisten, die den gefundenen Schriftzug in einer Zeitschrift druckten, kann in der allgemeinen Betriebsamkeit durchaus als bissiger Kommentar gelesen werden.

Art Basel, Messeplatz Basel, bis 20. Juni, täglich von 11 bis 19 Uhr (Montag bis 17 Uhr), Katalog 55 Franken.

Katrin Wittneven

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