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Kultur: Laufmasche im Netz

Grimme-Preis, Bachmann-Preis, Weltherrschaft: Die Zentrale Intelligenz Agentur ist die Kaderschmiede der Off-Kultur

„Unser Ziel ist die Weltherrschaft“, verrät Wolfgang Herrndorf. Der Schriftsteller und Maler ist einer von 23 inoffiziellen Mitarbeitern der Zentralen Intelligenz Agentur, kurz: ZIA. Wenn man der aktuellen Anzeige auf der Homepage der Universalfirma glauben darf, liegt der ZIA-Weltherrschaftsanteil derzeit bei drei Prozent. Das ist kein schlechtes Ergebnis für eine Gruppe von jungen Kreativen, die sich vor knapp fünf Jahren in Berlin zusammengefunden hat und derzeit als die Kaderschmiede der literarischen Subkultur gilt – mit dem für Berlin eigentümlichen Zusatz, dass man eigentlich gar nicht weiß, warum.

Der ZIA-Geschäftsführer war Fanzinemacher, betrieb ein winziges Label und übersetzt amerikanische Slacker-Literatur, zu den fünf weiteren Gründern gehören eine Internetkolumnistin und Übersetzerin, zwei Kulturwissenschaftler, ein Grafikdesigner und ein Journalist und Volkswirt. Anfänglich konnte man das Sextett aus Dreißigjährigen leicht mit den von Mercedes Bunz so genannten „Urbanen Pennern“ verwechseln: Hierbei handelt es sich um hervorragend ausgebildete Hochschulabsolventen, die, meist alimentiert von den Eltern, rund um die Uhr in Berlins Vorzeigevierteln in leeren Ladenlokalen sitzen und sich laut der Berliner Bohemeband „Britta“ bis zum Hals mit Arbeit, die es gar nicht gibt, eindecken. Zwar traf man die ZIA-Leute häufig in der Nähe der Kastanienallee, doch Büroräume besaßen sie keine: Die Agentur existierte im virtuellen Raum, ebenso luftig erschienen die ersten vagen Geschäftsideen, und des Öfteren stellte man in Gedanken die neidisch besorgte Frage des Liedermachers Winson: „Wovon lebt eigentlich Peter?“. Die ZIA organisierte mal hier eine Ausstellung und richtete mal dort eine Verlagsfeier aus – der ursprüngliche Plan, Texte des ZIA-Autorenstamms Gewinn bringend an Zeitungen weiterzuvermitteln, erwies sich in Zeiten der Journalistenschwemme als wenig ersprießlich. Doch davon ließen sich die ZIA-Leute nicht entmutigen, sie bauten weiter ihr Netzwerk auf und aus, bastelten an ihrer hübschen Internetseite und trugen das dazu passende T- Shirt sehr selbstbewusst.

Der Weltherrschaft entscheidend näher gekommen ist die ZIA schließlich dank zweier Phänomene. Im Juli 2003 veranstaltete man im Kurvenstar „Die letzte lange Nacht der Popliteratur“ zu Ehren Joachim Lottmanns und an diesem Abend erstrahlte zum ersten Mal der Stern des Supatopcheckerbunnys am Berliner Bühnenhimmel. Der kurze Lesungsauftritt begeisterte so nachhaltig, dass dann, als am 19. Dezember 2003 unter großem Mediengejammer die „Harald Schmidt Show“ eingestellt wurde, und ein Massensuizid unter deutschen Intellektuellen unabwendbar schien, das Supatopcheckerbunny in die Bresche sprang und Schlimmeres verhinderte: Von Januar 2004 an moderierte die charmant charismatische Ulrike Sterblich in Gestalt des Supatopcheckerbunnys gemeinsam mit dem Hilfscheckerbunny Stese Wagner einmal im Monat im NBI die von der ZIA realisierten „Berlin Bunny Lectures“. Die unterhaltsame, ebenso kluge wie ironische Themenshow wurde ein Publikumsmagnet und die beiden Bunnies Kultfiguren des kulturellen Off. Die ZIA konnte ihren ersten großen Erfolg verbuchen, auch weil das geschickt gesponnene Netzwerk sich bewährte: In Tageszeitungen interviewten sie einander, bewarben und besprachen die Veranstalter ihre eigenen Attraktionen, die Einladung von Gastexperten führte zu Aufwertung und Ausweitung des eigenen Mitarbeiterpools.

Der zweite wichtige Schritt zur Erlangung der Weltherrschaft war die Inbetriebnahme des Weblogs „Riesenmaschine“ im Juni 2005. Der aus dem Umfeld der ZIA hervorgegangene, täglich aktualisierte Blog hat sich der Ästhetik des Alltags und der Technik- und Warenwelt verschrieben. Aufgrund der originellen, äußerst witzigen Beiträge von handverlesenen Autoren wurde „Riesenmaschine“ zu einem der beliebtesten Weblogs der Republik und erhielt in diesem Jahr verdientermaßen den angesehenen Grimme-Online-Award. Auch wenn es noch schwer ist, aus einer Internetseite mit rund zehntausend Besuchern pro Tag unmittelbar Gewinn zu schlagen, lohnt sich der Betrieb insbesondere für die beteiligten Autoren: Die Bekanntheit wird gefördert und die Seite kann als Werbeplattform für eigene Veranstaltungen und Bücher genutzt werden.

Letzte Woche nahm ZIA-Gründerin Kathrin Passig mit ihrem dem Vernehmen nach ersten literarischen Text beim Ingeborg-Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt teil und gewann den Hauptpreis. Die Zeitungskolumnistin, Übersetzerin der Bob- Dylan-Biografie und emsigste ZIA-T- Shirt-Trägerin überzeugte die Jury mit einem assoziativ geknüpften Mordgeständnis, das sich ideal als literarische Einführung zu ihrem im nächsten Jahr erscheinenden „Lexikon des Unwissens“ anböte. Dass Kathrin Passig nebenbei auch noch den per Onlineabstimmung ermittelten Kelag-Publikumspreis gewann, was zwei Jahre vor ihr auch Wolfgang Herrndorf gelang, ist angesichts der großen Internet-Community in ihrem Rücken wenig überraschend. Und schon drängt sich die Frage auf, die auch Musikmanager umtreibt, nachdem immer mehr Bands ihrer Karriere im Internet den ersten Schub geben, ob die Schriftsteller-Stars des elektronischen Zeitalters von den Online-Gesellschaften auserkoren werden.

Im Moment scheint der ZIA offenbar alles zu gelingen: Die neu erprobten „Après Bunny“-Bühnenformate sind beinahe so erfolgreich wie ihre Vorgänger, und die von ZIA-Vorzeigedenker Holm Friebe ersonnene „Powerpoint Karaoke“ findet schon außerhalb Berlins begeisterte Zuschauer. Auch an dem Aufstieg von Holm Friebes Bruder Jens zum deutschsprachigen Popstar und Kritikerliebling war die ZIA übrigens nicht unbeteiligt. Ihr Geschäftsführer Jörn Morisse veröffentlicht in diesem Jahr eine Weihnachtsanthologie im Suhrkamp Verlag und etabliert sich als Literaturagent.

So werden aus Hedonisten und Experimentalisten mit prekären Beschäftigungsverhältnissen erfolgreich moderne Performer. Wie könnte die sich anbahnende ZIA-Weltherrschaft aussehen? Wahrscheinlich wird die „Riesenmaschine“ demnächst auf jeden Microsoft-Rechner standardmäßig installiert, Blogger dominieren den internationalen P.E.N.-Club und Jens Friebe ist Dauergewinner des Eurovision Song Contests. Erschiene dieser Artikel im Finanzteil der Zeitung, hieße der abschließende Rat: Sofort ZIA- Aktien kaufen!

Die Zentrale Intelligenz Agentur ist gut verlinkt: www.zentrale-intelligenz-agentur.de, http://riesenmaschine.de, www.supatopcheckerbunny.de, http://52wochenenden.de sowie www.jens-friebe.de. Jeden letzten Mittwoch im Monat findet im NBI, Schönhauser Allee 36, Prenzlauer Berg, „Après Bunny“-Shows statt.

Marc Degens

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