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Welche mag ich mehr? Vittoria (Sara Casu, l.) ist hin- und hergerissen zwischen Anjelica (Alice Rohrwacher) und Tina (Valeria Golino).

© Real Fiction

Laura Bispuris „Meine Tochter“: Das Geheimnis der roten Haare

Ein zeitgemäßes Bild von Mutterschaft: Laura Bispuris Frauendrama „Meine Tochter“, mit Alba Rohrwacher und Valeria Golino.

Von Andreas Busche

Manchmal ertappt man sich dabei, die Eigenschaften ihrer Filmfiguren auf Alba Rohrwacher zu projizieren. Mit ihrem hellem Blick, der marmornen Haut und den rotblonden Haaren wirkt die italienische Schauspielerin zart, fast zerbrechlich. Wenn sie einem im Gespräch gegenüber sitzt, erinnert sie an eine Ballerina. Sie hat die Tochter eines reichen Industrieadels gespielt und eine labile junge Frau, die in der Schwangerschaft von Ängsten geplagt wird. Für solche Rollen wird Rohrwacher bevorzugt besetzt, ihr Spiel durchzieht eine Feinnervigkeit, die sich noch in ihrer aristokratischen Blässe abzeichnet.

Umso bemerkenswerter ihr Auftritt in „Meine Tochter“, der im Februar auf der Berlinale Premiere hatte. In ihrer zweiten Zusammenarbeit mit Regisseurin Laura Bispuri, nach „Sworn Virgin“ von 2015, ist Rohrwacher so präsent wie nie zuvor. Einmal wandelt ihre Anjelica freiheitstrunken und auch selbstzerstörerisch am Rande einer Schlucht. Nachts bahnt sie sich betrunken den Weg durch die einzige Bar in ihrem sardinischen Nest: angezogen von Männern und billigem Fusel. Rohrwachers körperliches Spiel verleiht dem Film eine erratische Wucht.

„Auch wenn ich nicht so aussehe“, erzählt Rohrwacher in Berlin, „ich bin in der Natur groß geworden. In meiner Kindheit habe ich mit meinen Eltern im Wald gelebt. Figuren mit starker Naturverbundenheit fühle ich mich nah, da bin ich in meinem Element.“ Anjelica lebt mit ihren Pferden in den Bergen abseits der Dorfgemeinschaft. Im Ort ist sie verrufen: Beim Rodeo macht sie hinter den Ställen mit Männern rum, etwas Geld verdient sie mit dem Verkauf junger Welpen, wofür sie sich auf ihrem verfallenen Hof eine Hündin hält. Wenn die sich von einem Straßenköter bespringen lässt, setzt es Tritte.

Ein Schatz, den nur ein Kind bergen kann

Anjelica ist eine verlorene Seele, doch eines Tages steht die zehnjährige Vittoria (Sara Casu) vor ihr, ein schüchternes Mädchen, ebenfalls eine Außenseiterin: Sie hat wie Anjelica rote Haare und wird dafür von den anderen Mädchen verspottet. Vittoria fühlt sich intuitiv zu der Frau hingezogen, die allein in der Wildnis lebt – sehr zum Leidwesen ihrer Mutter Tina, gespielt von Valeria Golino, die eifersüchtig auf die Freundschaft zwischen ihrer Tochter und der „Dorfschlampe“ reagiert. Sie bietet der hochverschuldeten Anjelica sogar Geld, damit sie an einem anderen Ort ein neues Leben beginnt.

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Das Geheimnis, das die Frauen verbindet, ist bald zu ahnen. Auch Vittoria merkt, dass sie mit Anjelica mehr gemeinsam hat als nur die Haarfarbe. Ist es ihre biologische Mutter? In einer antiken Nekropolis konfrontiert Vittoria sie mit dem Verdacht. Anjelica hat aber auch eigennützige Gründe, das Mädchen in das Reich der Toten zu führen. In einem schmalen Erdloch soll sich ein Schatz befinden, den nur ein Kind bergen kann. Vittoria fühlt eine Verantwortung für die Frau, die noch mit ihrer Mutterrolle ringt, aber ihr fehlt der Mut, ins dunkle Loch zu springen.

Rohrwacher stiehlt Golino die Show

Laura Bispuri ist umsichtig genug, dieses „Geheimnis“ nicht in den Mittelpunkt ihres Films zu stellen. Eine bloße dramatische Wendung wäre auch eine Vergeudung angesichts dreier so vielseitiger Schauspielerinnen wie Rohrwacher, Golino und der Newcomerin Sara Casu, die den emotionalen Verwicklungen dieser Mutter-Tochter-Konstellation moralische Ambivalenz verleihen. Golinos Rolle ist dabei deutlich schwieriger, weil ihre Mutterfigur sehr traditionell angelegt ist; erst spät erfährt man den Preis, den sie für die Liebe ihrer Ziehtochter zu zahlen bereit war.

Rohrwacher stiehlt Golino mit ihrer chaotischen Energie eindeutig die Show, auch wenn sie im Gespräch gesteht, dass sie die Rolle anfangs viel Überwindung gekostet hat: „Persönlich bin ich schüchtern und introvertiert, das komplette Gegenteil von Anjelica. Aber Laura Bispuri hat mir die Angst genommen, am Ende war Anjelica eine Befreiung für mich.“

Tinas madonnenhafte Mutterfigur vor der Kulisse der ursprünglichen sardinischen Landschaft hätte für sich genommen reaktionäre Züge. Aber Bispuris Bild von Mutterschaft erweist sich letztlich als verblüffend zeitgemäß, um nicht zu sagen patchworkartig. Rohrwacher nennt es „unideologisch“. Ohne das misogyne Klischee der Hure und der Heiligen zu bedienen, schafft Bispuri mit Tina und Anjelica eine Mutter-Chimäre, die in der traditionellen Dorfgemeinschaft etwa so fremdartig erscheinen muss wie die leuchtend roten Haare von Vittoria.

Delphi Lux, fsk am Oranienplatz, Hackesche Höfe, Il Kino, Rollberg (alle OmU)

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