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Kultur: Lautmaler

Stephan von Huenes Zeichnungen in Berlin

O-ahei-o, singt die Loreley. Ihre Hand fährt mit dem Kamm durch das blonde Haar. Die Locken wallen. Der Unterkiefer klappt auf, weiße Zähne fahren herab. Die schöne Frau ist Mythos und Maschine. Stephan von Huene hat die „Neue Lore Ley“ aus Metallplatten zusammengesetzt, die sich synchron zum Ton bewegen. Das Spiel mit den Automaten, die Verbindung von Körper und Klang haben den vor zehn Jahren verstorbenen Künstler einzigartig gemacht. In der Stiftung Brandenburger Tor sind nun Zeichnungen zu sehen, die den Weg zu den Tonskulpturen erkennen lassen. „The Song of the Line“ – der schöne Titel, den die beiden Kuratoren Marvin Altner und Petra Kipphoff von Huene gewählt haben, bezieht sich auf ein Zitat des Kunsthistorikers Heinrich Wölfflin: „In dem Gesang der Linie offenbart sich die Wahrheit der Form.“

Kern der Ausstellung bildet ein Konvolut von insgesamt sechzig Zeichnungen aus dem Jahr 1961, die bei der Vorbereitung zur Retrospektive 2002 auftauchten. Die Mythen, Märchen und erotischen Phantasien des damals knapp Dreißigjährigen vermitteln einen Eindruck von seiner Suche nach innerer Wirklichkeit. Stephan von Huene, 1932 in Los Angeles geboren, wuchs als Sohn deutscher Eltern in Kalifornien auf. In den frühen Blättern wird die Welt von düsteren Symbolen begrenzt und dann von sonniger Lebensfreude gesprengt. William Blake trifft Commedia dell’arte.

Schon in diesen Zeichnungen bringt Huene die Figuren zum Klingen. Er sucht die Grundmelodie, die den Körper schwingen lässt und nur bei großer Angst und tiefer Trauer verstummt. Die Gestalten summen, fluchen, seufzen und stammeln. Die Lautmalereien erinnern an Dada, ebenso die Zerlegung in einzelne Glieder. In von Huenes künstlerischem Stammbaum steht Kurt Schwitters an erster Stelle.

In den Arbeiten auf Papier definiert Huene sein künstlerisches Forschungsfeld: den „mystischen Ort, die Hautgrenze, wo sich äußere und innere Welt treffen“. Die Rauchzeichnungen von 1964 wirken wie Röntgenbilder, die die Phantasie durchleuchten. Der Künstler hat das Papier mit Rauchspray geschwärzt und dann den Ruß abgetupft. Begehren und Aggression kommen ans Tageslicht.

Jetzt kann man den sexy Hüftschwung beim „Mann von Jüterbog“ verstehen. Die Figur ohne Oberleib ist eine Leihgabe der Nationalgalerie und legt zu einem Text von Reinhard Lettau ein Tänzchen hin. Lettau beschreibt die Wahrnehmung aus den Augenwinkeln. Das verschwommene Bild lässt manches schärfer erkennen. „Man sieht nur die halbe Wirklichkeit“, glaubte Stephan von Huene und baute daher nur Fragmente des Menschen. Die Betrachter setzen sie zu ihrer eigenen Melodie des Lebens zusammen. Simone Reber

Stiftung Brandenburger Tor, Pariser Platz, bis 23. Juli; Mo - Fr 10 - 18 Uhr.

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