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Lawrence von Arabien: Held und Hochstapler

Arbeit am Mythos: Eine Ausstellung und neue Bücher bringen neue Erkenntnisse über den Wüstenkrieger Lawrence von Arabien. Er starb vor 75 Jahren bei einem Motorradunfall.

Die Fahrt in die Unsterblichkeit beginnt in Höchstgeschwindigkeit. Röhrend beschleunigt das Motorrad auf gerader Strecke, am Wegesrand fliegen Bäume, Hecken, Häuser vorbei. Die Tolle des Fahrers flattert im Wind, er trägt keinen Helm, bloß eine Schutzbrille. Dann tauchen plötzlich hinter einer Hügelkuppe zwei Fahrräder auf. Die Maschine versucht auszuweichen, gerät ins Schleudern, wird über die Böschung geschleudert. Zappelnd bleibt die Schutzbrille in einem Zweig hängen.

So, mit dem tödlichen Unfall des Helden auf einer Landstraße in der südenglischen Grafschaft Dorset, fängt „Lawrence von Arabien“ an. David Leans Monumentalfilm aus dem Jahr 1962 verwandelte den Archäologen, Schriftsteller und zeitweiligen Feldherrn Thomas Edward Lawrence in Gestalt des Schauspielers Peter O’Toole in einen überlebensgroßen Popstar des Ersten Weltkriegs. Lawrence, der nur ein 1,65 Meter groß und ein eher scheuer Mensch war, starb im Mai 1935.

75 Jahre später steht sein Motorrad, eine wuchtige schwarze Maschine der Marke Brough Superior, am Ende der größten Ausstellung, die jemals über Lawrence in Deutschland zu sehen war. Auf dem Tacho reicht die Skala bis zu 180 Stundenkilometern. Der Mann, den man sich am liebsten im Beduinengewand auf dem Sattel eines Kamels vorstellt, war – das ist eine Überraschung der Schau „Lawrence von Arabien. Genese eines Mythos“ im Oldenburger Landesmuseum – von Technik und Motoren fasziniert. Er schrieb seine Abschlussarbeit in Oxford über Kreuzritter-Burgen und verband Mittelaltersehnsucht mit Futurismus. Seine letzten Jahre bei einem Marinegeschwader der Royal Air Force verbrachte er mit der Entwicklung von Luftkissenfahrzeugen.

Im Krieg als „ungekrönter König von Arabien“ gefeiert, fasste er in der Friedensgesellschaft nie richtig Fuß. Bei der Pariser Friedenskonferenz trat Lawrence 1919 gleichzeitig als britischer Diplomat und Berater des arabischen Emirs Faysal auf, kombinierte seine Colonel-Uniform mit einem Kopftuch und konnte nicht verhindern, dass das Versprechen einer arabischen Unabhängigkeit vom Tisch gewischt und Syrien Frankreich als Mandat zugesprochen wurde. Sein Scheitern stürzte ihn in Depressionen, er klagte, dass er „verflucht noch mal auf Erden zu überhaupt nichts zu gebrauchen“ sei und ließ sich zwei Mal als einfacher Rekrut in der Armee aufnehmen. Beide Male wurde er vom eigenen Ruhm eingeholt, Reporter deckten seine Identität auf.

Die Ausstellung versucht, Lawrence als führenden Intellektuellen in der europäischen Zwischenkriegsmoderne zu verorten. Sie zeigt Originalseiten und die Illustrationen befreundeter Künstler aus der Erstausgabe seiner Autobiografie „Die sieben Säulen der Weisheit“, die als Privatdruck herauskam, bevor sie zum Bestseller wurde. Ein Lehnsessel ist vor eine Fototapete mit der Bibliothek seines Refugiums „Clouds Hill“ gerückt, einem liebevoll restaurierten Landhaus. Lawrence korrespondierte mit quasi allen englischsprachigen Großdenkern seiner Ära von George Bernard Shaw bis Huxley und während seiner Zeit auf einem indischen Fliegerhorst übersetzte er die „Odyssee“. Politisch neigte er zum Extremismus. Er bewunderte starke Männer wie Mussolini, und bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht – davon schweigt die Ausstellung –, dass er vor seinem Motorradunfall auf der Post ein Telegramm an einen befreundeten Schriftsteller aufgegeben habe, der ein Treffen mit Hitler arrangieren wollte.

Der Saarbrücker Historiker Peter Thorau nennt Lawrence in seiner neuen Biografie (siehe Kasten) einen „Schauspieler auf fremder Bühne“ und wirft ihm zahlreiche „Räuberpistolen“ vor. Mit seiner Geltungssucht mag der 1888 in Wales geborene Sohn eines Barons die uneheliche Herkunft kompensiert haben, unter der er litt. Als Archäologe nahm er ab 1911 an den Ausgrabungen in Karkemisch am Euphrat teil, nach Kriegsbeginn arbeitete er für den britischen Geheimdienst in Kairo.

Lawrences Stunde schlug, als er Ende 1916 als Verbindungsoffizier zu Emir Faysal geschickt wurde, der mit seinen Beduinen einen Aufstand gegen das mit Deutschland verbündete Osmanische Reich angezettelt hatte. Zwar eroberten die Araber unter seiner Führung die Festungen Wagh und Akaba und schließlich sogar Damaskus. Doch die Arabische Halbinsel war – so Thorau – nur der Nebenkriegsschauplatz eines Nebenkriegsschauplatzes, über dessen Schicksal die Briten mit ihren Siegen in den Materialschlachten in Palästina entschieden. Mit seinen Partisanenattacken auf die türkische Bahnlinie war Lawrence weniger erfolgreich als andere britische Offiziere, die besser mit Dynamit zu hantieren wussten. Seine Arabischkenntnisse waren keineswegs glänzend, und den goldenen Krummdolch, den er später stolz vorzeigte, hatte er nicht geschenkt bekommen, sondern auf einem Basar gekauft. Das Kopfgeld, das die Türken auf seinen Kopf ausgesetzt haben sollen: eine Erfindung.

Für Lawrence war der Krieg ein Abenteuer, ein „großes Spiel“, dem er in seinen nachträglichen Schilderungen eine große poetische Kraft abzugewinnen wusste. So schildert er einen 20-tägigen Ritt durch die Wüste als existenzielle Erfahrung: „Wir fühlten uns winzig klein in dieser Grenzenlosigkeit, und unser Vorwärtshasten durch solche Unermesslichkeit war fast wie ein Stillstand.“ Lawrence war ein begnadeter Selbstdarsteller – und eine ideale Projektionsfläche.

Den Grundstein seiner Legende legte der amerikanische Journalist Lowell Thomas, der den Guerillakrieger 1918 in Jerusalem getroffen hatte und ihn ab 1919 zum Mittelpunkt einer – in Oldenburg rekonstruierten – Dia- und Filmshow machte, die in England und den USA in ausverkauften Häusern gastierte. Die Zuschauer waren entzückt über diesen jugendlichen Helden, der wie ein neu geborener Robin Hood für die unterdrückten Araber gegen die bösen Türken kämpfte.

Die Ausstellung bemüht sich, den Mythos zu dekonstruieren. Weil Kurator Detlef Hoffmann dabei aber auf umfassende Texttafeln weitgehend verzichtet, greift sie vor allem auf Dokumente der Rezeptionsgeschichte zurück, die den Mythos bloß reproduzieren: aufgeblasene Comics und ganze Vitrinen voller Lawrence-Jugendbücher und Devotionalien vom T-Shirt bis zum Kaffeebecher. Der Diskurs ist in den Katalog verbannt. Dort schreibt Museumsdirektor Mamoun Fansa, dass Lawrence in der arabischen Welt bis heute nicht als Befreier, sondern als Verräter gilt. Lawrence hatte nichts dagegen, zum „Fürst von Mekka“ stilisiert zu werden. Doch die Araber sahen ihn schon im Krieg als finanzkräftigen Unterstützer ihrer Sache, als „Mann mit dem Gold“.

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