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Bett als Burg. Tristan und Isolde (Anna Prohaska, Matthias Klink) haben den Zaubertrank genossen.

© Hermann u. Clärchen Baus

"Le vin herbé" an der Staatsoper: Der Anti-Tristan

Es ist die gleiche mittelalterliche Sage, die auch Richard Wagners "Tristan und Isolde" zugrunde liegt. Doch der Schweizer Komponist Frank Martin vollendete 1941 ein Werk, das die zarte Anteilnahme höher achtet als den Rausch. Überraschend zart von Katie Mitchell auf die Bühne gestellt, ergibt das einen feinen Kontrapunkt im laufenden Wagner-Jahr.

Es scheint unmöglich im Wagner-Jahr, unmittelbar nach dem 200. Geburtstag des Meisters zumal, nicht seinen Tristan aufzuführen, sondern den eines nachgeborenen Komponisten. Eines scheuen Schweizer Tonsetzers, der vor allem im Wagner verhassten französischen Kulturraum verwurzelt ist und zugleich den deutschen Traditionslinien folgt. Der die mittelalterliche Sage von Tristan und Isolde nicht in narkotischen Klangfluten auflöst und sie in den schwarzen Wellen einer Privatreligion der Weltverneinung ausrollen lässt. Das Werk eines asketischen Künstlers, der ohne jeden Überwältigungsgestus einen stillen Klangraum schafft, während die Welt von sich überlegen wähnenden Ariern in Brand gesteckt wird. Die Staatsoper hat gut daran getan, Frank Martins „Le vin herbé“ jetzt im Schiller-Theater ausschenken zu lassen. Trotz gleichzeitigem Fußballhochamt und einsetzender Sintflut findet dieses leicht flüchtige Produkt eines langen Gärprozesses ein begeisterungsfähiges Publikum – und das völlig zu Recht.

Um Martins weltliches Oratorium ganz zart auf die Bühne zu stellen, hat Katie Mitchell ihr erprobtes Medientheater komplett beiseitegelassen, mit dem sie vergangene Spielzeit Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“ im Kraftwerk Mitte abschnurren ließ. Die britische Regisseurin, die virtuos hochkomplexe Verschachtelungen aus dem Spiel, seiner medialen Aufbereitung und kaum wahrnehmbaren digitalen Zuspielen schafft, nimmt die Hand von Mischpult und Computerschnittplatz, rüstet ab, öffnet das Visier. Den Rahmen, den sie ihrer Berliner Inszenierung von „Le vin herbé“ gibt, leitet sie aus dessen Entstehungszeit ab. Frank Martin vollendet sein Werk 1941, im Jahr darauf erlebt es seine Uraufführung in Zürich. Während der Krieg alles erschüttert, versenkt sich der Komponist, ein überzeugter Pazifist schon vom väterlichen Pfarrerhaus her, in einen Zustand innerer Ruhe.

Ein fragiles Unterfangen, das Kontinuität beschwört, wo Verbindungen brutal gekappt werden und sich die Zivilisation in ein Endspiel gestürzt sieht, dem Untergang preisgegeben. Martin, dem Ideologien in der Kunst stets fremd waren, findet in der Finsternis seinen eigenen Stil: angeregt ebenso von Schönbergs Zwölftontechnik wie von den tonalen Klassikern der deutschen Schule, von alten Kirchengesängen wie von Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ – und beeindruckt auch von Wagners „Tristan und Isolde“. Aus diesen Zutaten gewinnt er seinen Zaubertrank, einen Wein, der eher klarsichtig macht als die Sinne verwirrt, der die zarte Anteilnahme höher achtet als den Rausch. Wo Wagner mit dem Tristan-Akkord eine sehrende musikalische Wunde reißt, die sich im Leben nicht mehr schließen wird, öffnet Martin einen Erinnerungsraum, mit Resonanzen über die Jahrhunderte hinweg.

Die Bühne - ein zerbombtes Theater

Bett als Burg. Tristan und Isolde (Anna Prohaska, Matthias Klink) haben den Zaubertrank genossen.
Bett als Burg. Tristan und Isolde (Anna Prohaska, Matthias Klink) haben den Zaubertrank genossen.

© Hermann u. Clärchen Baus

Katie Mitchells Bühne sucht diesen Raum in einem zerbombten Theater nachzubilden. Es soll sich 1942 in einer französischen Großstadt befinden, verrät das Beipackzettelchen für „Le vin herbé“. Die Alliierten greifen die Stadt an, die Zivilbevölkerung ist gefangen in einer Schlacht zwischen deutschen Besatzern und den künftigen Befreiern, die erst einmal Tod und Zerstörung bringen. Ein Ensemble aus Laien- und Profisängern führt Martins Oratorium zwischen geborstenen Scheinwerfern, rußgeschwärzten Wänden und verkohlten Vorhängen auf. Nach dem Wagner-Bombast kommen die Feuerstürme, könnte man dieses Arrangement auch nennen.

Doch Mitchell missbraucht „Le vin herbé“ nicht für Korrekturen eines ohnehin unstrittigen Frontverlaufs. Ihr Spiel im geborstenen Theaterraum, von Feuerschein und Kerzenlicht schwach erhellt, gleicht einem genau vermessenen Ritual. Martins zwölf Oratoriensänger sind dort in dicke Mäntel gehüllt zusammengekommen, um die alte Geschichte der unglücklich Liebenden wieder zu erzählen. Schält sich aus ihrem Kreis eine Stimme heraus, legt der Darsteller den Mantel ab, wird kurzzeitig von Auskühlung bedrohtes Individuum, Tristan, Isolde oder König Marke. Der Zaubertrank rinnt, anders als bei Wagner, in Unschuld getrunken die Kehlen hinunter, worauf die Liebe – das Unerklärliche – Besitz von Tristan und Isolde nimmt und selbst im Tod nicht vergeht.

Martins Klangkörper könnte mit seinen sieben Streichern plus Klavier nicht weiter entfernt sein vom sich verströmenden Wagner-Riesenorchester. Durchscheinend ist der musikalische Stoff gewebt, der sich ohne spürbaren Widerstand um die Stimmen legt. Dieser Effekt stellt sich nur dann ein, wenn zwölf Sänger jederzeit und immer wieder geeinten Atems im Erzählerchor zusammenfinden können. Unter der umsichtigen Leitung von Franck Ollu gelingt das dem Ensemble beinahe ohne Reibungsverluste. Natürlich sticht Anna Prohaskas Isolde heraus, allein wegen ihrer das stille Ritual beinahe sprengenden Erregbarkeit. Matthias Klings Tristan ist vollends dem Schicksal ergeben und darin unbedingt glaubwürdig, auch wenn seine hohen Töne mitunter schmal werden. Der Bass Ludvig Lindström verkörpert einen würdevollen König Marke aus der Mitte des Lebens. „Könnten sie hier finden Trost gegen alle Leiden der Liebe“, stimmen die vereinten Zwölf tief in ihre Mäntel gehüllt den Epilog an. Das offene Feuer ist erloschen, von der entfesselten Welt des Krieges dringt kein Laut herein. Und Wagners wuchtige Verklärung des Todes scheint plötzlich unmöglich.

Wieder am 29.5. u. 1., 7., 9. und 13.6.

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