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Verbaler Hochleistungssport. Cordelia Wege beim „Politiker“-Monolog.

© Arno Declair

„Lear“ am Deutschen Theater: Patriarchendämmerung

Generationenwechsel und gekappte Traditionszusammenhänge: Sebastian Hartmann inszeniert „Lear“ und „Die Politiker“ zusammen.

So viel Aktionismus gab’s lange nicht. Mitten in der „Lear“-Premiere am Deutschen Theater, in einem besonders ruhigen Moment des bewusst handlungsarmen Abends, erhebt sich im Rang ein Zuschauer: Er sei davon ausgegangen, hier werde Shakespeare gespielt, schimpft er und fordert das Publikum zur Rebellion auf. Da es bis auf ein paar zaghafte Zustimmungslacher und Gegenbekundungen („Dann gehen Sie doch einfach!“) relativ ruhig bleibt, entschwindet der weißhaarige Herr mit einem letzten originellen Rat durch die Tür: „Und schlaft nicht ein!“

Man hätte das wahrscheinlich gar nicht besser inszenieren können. Generationswechsel, gekappte Traditionszusammenhänge, der Demenz-Schlummer bisheriger Macht- und Meinungshaber und ehrliche Ratlosigkeit, wie’s weitergeht: Das sind die Themen, um die Sebastian Hartmanns „Lear“-Inszenierung „nach Shakespeare“ zum Saisonauftakt kreist.

Aus dem titelgebenden alten König, der sein Reich unter den drei Töchtern aufteilt und ihnen dafür Liebes-Lippenbekenntnisse abpresst, ist von Anfang an jede Vitalität gewichen. Verwirrt liegt der King in einem Krankenhausbett auf der vom Regisseur selbst entworfenen Bühne, spielt mit seiner Krone wie mit einem Fremdkörper und sollte, wenn er denn mal aufsteht, besser an die Hand genommen werden. Der (Macht-)Mensch am Erinnerungstropf referiert natürlich keine stringente und plausible Tragödie.

Ein scheintoter Patriarch

Sein Metier sind die unzuverlässigen Gedankenblitze und Assoziationen: „König Lear“ als Bewusstseinsstrom eines scheintoten Patriarchen, der hier – wie das Krankenbett – doppelt existiert. Hartmann denkt den Monarchen mit der zweiten Vaterfigur des Stückes zusammen, dem Grafen Gloster. Der verschätzt sich ja ebenfalls, und zwar – in ähnlicher Verblendung wie Lear mit seinen Töchtern – in seinen Söhnen. Es geht dem Regisseur, kurzum, ums (väterliche) Prinzip.

Dass Hartmann sich von der Methode der Stück-Nacherzählung schon länger verabschiedet hat und vielmehr inhärente Motive befragt, die dann in vielfältigen Varianten durchgespielt werden, konnte man zuletzt im Mai bei seinem Theatertreffen-Gastspiel „Erniedrigte und Beleidigte“ aus Dresden sehen.

Jetzt am DT werden Michael Gerber und Markwart Müller-Elmau in ihren Betten praktisch abendfüllend von den jüngeren Kolleginnen und Kollegen attackiert: der Generationen-Clinch als Familienerfahrung wie als globaler Gesellschaftskonflikt.

„Die Politiker“ in 30 Minuten

Linda Pöppel rattert als Tochterprinzip Nummer eins in einem Gnadenlos-Monolog am Krankenhausbett noch mal die Reichsaufteilungsstory samt des väterlichen Erwartungskatalogs herunter. In einer anderen Beziehungsvariante bedrängt Birgit Unterweger als Tochter-Prinzip Nummer zwei den Alten mit erotischen Avancen. Halb rebellisch, halb verzweifelt rütteln und schütteln die Väter und Söhne an den erschlafft-entrückten Patriarchen herum. Klagen sie an und scheinen sich selbst dafür zu hassen, dass sie doch nicht von ihnen lassen können.

Die Alten aber haben selbst dann nichts mehr mitzuteilen, wenn sich Manuel Harder oder später Birgit Unterweger nackt zu ihnen ins Bett legen. Das Private kippt bei alledem immer wieder ins Politische: Ein riesiges Windrad steht in der Bühnenmitte. Und Natali Seelig ist nicht die einzige, die zwischendurch weltumspannende Krisen anspricht.

Konzeptionell ist das klug und konsequent gedacht. Praktisch aber bleibt diesmal vieles lose angerissen bei Hartmann, gehen die Motiv-Variationen oft eher in die Breite als in die Tiefe. Am Schluss gibt es allerdings noch einmal einen rasanten Tempo- und Atmosphärenwechsel. Das Windrad leuchtet jetzt neon-sonnengelb.

Und an der Rampe sitzt, in einem schwarzen Samtkleid wie zum Abendempfang (Kostüme: Adriana Braga-Peretzki), die sensationelle Schauspielerin Cordelia Wege und fährt den Sprech-Tacho auf Anschlag. Sie performt hier, in 30 Minuten, nichts Geringeres als eine knapp 100-seitige Uraufführung: „Die Politiker“ von Wolfram Lotz. Einen Text, der der Learschen Depression, ironisch mehrfach gebrochen, eine Art Wutbürger-Suada entgegensetzt: die Wiederkehr der Tragödie als Farce. (Wieder am 8. und 13. September)

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