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Kultur: Leben und streben lassen

FOTOGRAFIE

Es sind nur knapp zwanzig Arbeiten, die Vladimir Birgus im Tschechischen Zentrum ausstellt (bis 4.4., Friedrichstr. 206, Bildband 19 Euro), aber wer sie in sich aufnimmt, der sinnt ihnen lange nach. „Etwas Unaussprechliches“ lautet der Titel, und doch sind sie wie eine Aufforderung zum Sprechen. Man sieht immer wieder Menschen, die aneinander vorbeistreben, im dichtesten Gedränge noch isoliert sind vom Nachbarn und sogar im Gespräch den anderen nicht erreichen. So die in eine Bergbahn gepressten Ausflügler in Österreich, die Birgus gleich durch drei Fenster fotografiert, als sollten viele Gesichter verglichen werden, die Passanten auf einer New Yorker Straße, die wie Schatten in gegensätzliche Richtungen streben, oder das Liebespaar in der Berliner S-Bahn: Sie lehnt den Kopf müde zurück, er redet eifrig auf sie ein. Aber das könnte auch an einem anderen Ort der Welt sein. Birgus, der in Prag Fotografie lehrt und als Sachwalter der tschechischen Foto-Avantgarde bekannt wurde, hat das Warten und Schauen gelernt. Nie inszeniert er, es passiert alles von selbst. Was er sucht, findet er im Gewimmel farbiger Mütter mit ihren Kindern in New York, unter dem Eiffelturm und vor einer mäßig belebten Straßenunterführung in Moskau. Schatten und Spiegelungen verdichten die Bilder. Oft streben Personen über den Bildrand: alles ist Ausschnitt. Vor allem aber fesseln das kräftige Rot und die Variationen von Gelb und Blau. Die Farben sind eine Spur überauthentisch und nähern das Foto der Malerei. Edward Hopper scheint durch die Kamera geschaut zu haben, aber wer will, kann hier auch die tschechische Vorliebe für skurrile Geschichten am Werk sehen. Die Farben sind wie Signale des Aufbruchs.

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