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Lebenswelten: Dabei sein ist nicht alles

Der zurückgetretene Bundespräsident Christian Wulff und die Frage: Was ist eigentlich ein Spießer? Und was ist ein Hipster?

Die Lebensgeschichte von B. ist zunächst einmal typisch für viele Berliner. B. stammt aus einem badischen Dorf, sie ist die Tochter eines kleinen Landwirts. Wie man das so kennt, wollte sie ihre beengten Verhältnisse hinter sich lassen und in die Großstadt, irgendwas mit Mode machen. Erst landete sie in Karlsruhe, dann in Berlin, da sie hier an einem großen Theater eine Anstellung als führende Kostümbildnerin bekam. B., das spürt man immer, wenn man sie trifft, ist stolz darauf, ihren kleinbürgerlichen Zusammenhängen entronnen zu sein. Sie lebt in Mitte, in einer teuren, geschmackvoll eingerichteten Wohnung, immer nur das Beste, und jettet zwecks Weiterbildung mal nach London, mal nach Paris.

Alles stimmig irgendwie. Nur dieser spürbare Stolz, der passt nicht, der deutet auf Verkrampfungen hin, auf Angabe. Das Seltsame ist, dass B. Berlin jetzt wieder verlässt und zu ihrem neuen Freund nach Leverkusen zieht. Der arbeitet bei Bayer und soll, wie man hört, eher ein sparsamer und ehrgeiziger, in jedem Fall unglamouröser Mensch sein. Man kann sich B. schwer in Leverkusen vorstellen. Ist die Liebe so groß? Holt ihre Herkunft sie in ihren späten Dreißigern doch ein?

Natürlich war B., Leverkusen hin oder her, neulich bei der Diskussion im HBC- Club in Mitte, bei der es um den Hipster ging. Der Hipster ist eine soziale, vor allem aus subkulturellen Zusammenhängen stammende Figur, die merkwürdigerweise plötzlich wieder in aller Munde ist. Vermutlich, weil der amerikanische Literaturwissenschaftler und Zeitschriftenherausgeber („n + 1“) Mark Greif diesen 2009 zum Zentrum einer Untersuchung gemacht hat, aus der gerade wiederum ein Buch bei Suhrkamp wurde

Das HBC war an jenem Abend „the place to be“, wie man so sagt. Wer in Mitte was auf sich hält und/oder aus Kunst- Pop- und Medienbereichen stammt, war da, und noch immer schlagen die Diskussion und der Besuch Greifs mediale Wellen. Der Hipness-Grad schien hoch gewesen zu sein. Nur versteht man im Nachhinein diese Aufregung um den Hipster nicht. Zum einen ist er eine schon ewig alte Pop- und Subkulturfigur (von Mailers „white negro“ bis zu Diederichsens „Hip-Intellektuellen“ und „Second-Order-Hipstern“); zum andern wird er in dem schön knallgrünen Edition-Suhrkamp-Band vor allem als Negativfigur verhandelt: „Produkt des Neoliberalismus“, „unpolitischer Stil-Rebell“, „Tourist“. Der Hipster, könnte man nach der Lektüre schließen, ist eigentlich tot, eine überwundene Figur.

Trotzdem mag niemand so recht von ihm lassen. Zu funkelnd ist der Begriff „Hipster“, zu glamourös, zu unverzichtbar als Distinktionskrücke. Und zu wichtig das, was mit dem Hipster assoziiert wird: das coole Wissen, die richtigen Klamotten, die richtigen Songs, Bücher, Filme, kurzum: der richtige Pop. Nur was tatsächlich „richtig“ ist, was zum Hipster qualifiziert, ist die große Frage. Daran knabbern die, die versuchen den Hipster zumindest als historische Figur zu definieren, und die, die halt gern Hipster sein wollen. Denn auch das ist die Crux des Hipsters: Er wird erst per Zuschreibung zu einem. Wenn er sich selbst als solchen bezeichnet, könnte es peinlich werden.

Bei gutem Pop reicht die Oberfläche bisweilen. Bei Politik sollte darunter noch was sein

Womit wir wieder bei B. sind. So sehr man ihr das unbedingte Streben Richtung Coolness und Hipstertum anmerkt, so klug ist sie doch, sich selbst nicht als Hipsterin zu bezeichnen. Damit ist sie auf einem guten Weg – der sie nun nach Leverkusen führt, zu ihrem Freund, der nicht „irgendwas mit Medien“ macht, sondern Ingenieur ist. Das Glück muss nicht nur auf der Torstraße und der Alten Schönhauser liegen. B.s wahre Größe besteht darin – zieht man ihr Nicht-aus-ihrer-Kleinbürgerhaut-Rauskommen und ihre mögliche Liebesblindheit ab –, dass sie auf den Mitte-Hipster-Subkultur-Kram pfeift.

Und wenngleich Zweifel bleiben, ob sie es wirklich lange in der Chemie-Stadt aushält: Vielleicht – und damit wird die Sache erst richtig interessant – hat B. zudem eingesehen, dass bestimmte Hipster-Insignien das eine sind. Dass aber eine möglicherweise fehlende popistische Sozialisation auch nicht so einfach mir nichts dir nichts mit Anfang, Mitte dreißig in eine Biografie integriert werden kann.

Das unterscheidet sie von jemandem wie Christian Wulff, der mit seiner zweiten Frau unbedingt raus aus dem vermeintlichen niedersächsischen Mief wollte – und der nicht zuletzt aufgrund dieses Strebens nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten genau dort wieder landet. Die fehlende Eignung für das Amt, inhaltlicher Art, mag das eine sein. Das andere ist eine Lebensführung, der man den Willen, unbedingt jemand anders sein zu wollen, hinter jeder in den letzten Wochen öffentlich gewordenen Alltagskleinigkeit anmerkt. Hier das Haus, die Frisur, die gebügelten Jeans, der Q 3, das Spießertum, dort die vermeintlich große Welt, die Maschmeyers, Groenwolds, die Reisen 1. Klasse, erste Häuser am Platz etc.

Fragt sich: Warum bloß? Ist es, gerade karrieretechnisch, nicht glamourös genug, niedersächsischer Ministerpräsident, Bundespräsident zu sein? Hat Wulff gemerkt, dass es ihm schon immer an Statur, an Format fehlte, um seine Ämter auszufüllen, und hat er geglaubt, das durch vermehrten Glam wettmachen zu können?

Nein, es ist nie leicht, ganz bei sich selbst zu sein. Es gibt nur cool oder uncool oder wie man sich fühlt, um es mit Tocotronic zu sagen. Zumal die Spießer-Zuschreibung bei Wulff ja sowieso fragwürdig ist. Eindeutig zu fassen ist der Spießer so wenig wie der Hipster. Ist die Klorolle hinten im Auto noch Ausdruck von Spießigkeit? Sie kann, nach vielen Jahrzehnten Popkultur und Spiel mit den Zeichen, auch Zitat sein. Unflexibilität, starr auf Gewohnheiten setzen, das zeichnet vielleicht einen Spießer aus, und demnach gibt es inzwischen auch Ökospießer, Popspießer, Indierockspießer, beispielsweise. Und: Wer den anderen einen Spießer nennt, ist womöglich selbst einer; wer den anderen einen Hipster nennt, meint womöglich sich selbst.

Das Bedenkliche nur ist, dass heutzutage alle Hipster sein wollen. Oder wenigstens cool und glamourös. Jeder Politiker meint inzwischen vermitteln zu müssen, auch einmal AC/DC, BAP oder Nirvana gehört oder an einem Joint gezogen zu haben. Die bewegte popkulturelle Sozialisation gehört mit zum guten Ton. Nur sind diese Inszenierungen in der Politik ohne Wert, wenn es wirklich um was geht oder Mist gebaut wird (Guttenberg, Wulff). Dann ist dann plötzlich gar nichts mehr. Politik ist ja sehr Pop geworden in den letzten zwei Jahrzehnten. Bei gutem Pop reicht die Oberfläche bisweilen. Bei Politik sollte darunter noch was sein.

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