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Kultur: Legende vom echten Leben

Zwischen Rinderdung und Supermarkt: Das Münchner Filmfest preist den globalen Alltag

Das Kino ist eine merkwürdige Angelegenheit. Fremde Menschen setzen sich in einen dunklen Raum. Dort beobachten sie still, wie andere fremde Menschen irgendwelche Dinge tun. Was sie zu sehen bekommen, sind aber beileibe nicht nur schöne Frauen und schöne Dinge – auch wenn sich Truffaut das noch so gewünscht haben mag. Im Gegenteil: Unsere Beobachtungslust geht so weit, dass wir uns bisweilen sogar auf den langweiligen Alltag hässlicher Männer einlassen. Wenn es den Filmemachern und Schauspielern gelingt, uns um den Finger zu wickeln, spielt es keine Rolle, ob wir mongolische Nomaden, einen bekannten Schriftsteller oder heruntergekommene Suffköpfe durch den Alltag begleiten.

Die deutsche Reihe auf dem Münchner Filmfest hat dies eindrucksvoll untermauert: Alles beruht auf der kunstvollen Verführung zum Schauen. Nehmen wir als Beispiel „Die Höhle des gelben Hundes“. Das ist der Titel des neuen Films der in München lebenden Mongolin Byambasuren Davaa. Sie war im Februar mit „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ für den Oscar nominiert und gewann nun in München mit „Die Höhle des gelben Hundes“ den „Förderpreis deutscher Film“. In der Tradition von Robert Flahertys Dokumentarfilm-Klassiker „Nanook of the North“ schleicht sie sich ein in den Alltag einer mongolischen Nomadenfamilie – und wer diesen Alltag als unspektakulär abtut, kennt weder die Mongolen noch Davaas Inszenierungskniffe.

Ähnlich wie der Urahn der Dokumentation schreckt auch sie vor Eingriffen in die Realität nicht zurück. Dabei inszeniert sie einerseits Momente voller Suspense und dokumentiert andererseits Begebenheiten, die rührender kaum sein könnten. Wenn die drei tapsigen Kleinkinder in der Steppe mit Rinderdung spielen, musste der Kritiker jedenfalls die Waffen strecken. Da die Grenze zwischen „niedlich“ und „Kitsch“ aber bei jedem anders verläuft, lässt sich Davaas Film vielleicht am besten auf folgenden Nenner bringen: Wer mit den pausbackigen Engeln auf Raffaels „Sixtinischer Madonna“ seine Probleme hat, der wird auch mit „Die Höhle des gelben Hundes“ nur bedingt etwas anfangen können. Unsere Vorfreude auf „Die Legende vom glubschäugigen Leguan“, oder wie auch immer Davaas nächster Film heißen mag, ist jedenfalls geweckt.

Von der idyllischen Ferne der vormodernen Mongolei zurück in das, was manche möglicherweise als reine Anti-Idylle bezeichnen würden: die deutsche Kulturindustrie. „Ich bin erst sechs Jahre im Literaturbetrieb – und er hängt mir schon so zum Hals raus!“ klagt der Schriftsteller John von Düffel. Der Dokumentarfilm- Regisseur Jörg Adolph hat sich davon nicht abschütteln lassen. Er ist dem Autor über 15 Monate durch dessen Alltag gefolgt. Dabei hat er alle Entstehungsstadien des Romans „Houwelandt“ (so auch der Filmtitel) eingefangen: Vom Kampf mit dem blinkenden Cursor auf der leeren Bildschirmseite bis zur Lesung vor schwäbischem Publikum – wobei der Film offen lässt, was nervenaufreibender ist. Heraus kamen nicht nur faszinierende Szenen aus dem Leben eines Autors, sondern auch einige aufschlussreiche Einblicke in die Vorhölle des Literaturbetriebs. Wer danach noch Schriftsteller werden will, muss Masochist sein – oder kreativer Triebtäter.

So wie der sympathische John von Düffel. Von dem haben Georg und Paul mit hoher Wahrscheinlichkeit noch kein Wort gelesen. Die beiden Antihelden aus Isabelle Stevers Spielfilm „Gisela“ sind die deutschen Pendants der abgefuckten Charles-Bukowski-Wracks. Ihr Sozialwohnungsalltag besteht im Herumhängen und Saufen. Und ihre Krisen maskuliner Identität entladen sie in sexuellen Spielereien. In dieses räudige Liebesleben wird auch die Kassiererin Gisela miteingebunden – nicht zu ihrem Vorteil. Der Film schaut für ein paar Tage hinein in das triste Tag-ein-Tag-aus. Dann verabschiedet er sich wieder. Was banal klingt, hat jedoch einen suggestiven Sog. Auch hier zeigt sich die Faszination des Beobachters an der Alltagsmonotonie – wenn diese nur verführerisch genug zugerichtet ist. In diesem Fall liegt das vor allem an Stefan Rudolf, der den (selbst-)zerstörerischen Georg mit einer Wucht spielt, die an David Thewlis in „Nackt“ erinnert. Rechnet man noch RP Kahls stimmungsvolle Schauspielerinnen-Dokumentation „Mädchen am Sonntag“, Alexander Schülers sarkastische Beziehungsschlacht „Rendezvous“ sowie die beiden in Cannes uraufgeführten Filme „Falscher Bekenner“ und „Schläfer“ dazu, war 2005 ein Jahrgang auf hohem Niveau.

Die Tatsache, dass die beiden Filme von Christoph Hochhäusler und Benjamin Heisenberg an der Croisette und nicht an der Isar Premiere hatten, verdeutlicht jedoch ein symptomatisches Unbehagen, mit dem man auf die Zukunft des Münchner Filmfests als Uraufführungsstätte deutscher Kinofilme blickt. Denn nicht nur das neu erwachte Interesse am deutschen Film konfrontiert die Münchner mit neuen Begehrlichkeiten von A-Festivals wie Cannes (davor) und Locarno oder Venedig (danach). Auch mit dem gerade in Ludwigshafen gegründeten „Festival des deutschen Films“ wird man sich künftig herumschlagen müssen. Ab nächstem Jahr sollen dort vorwiegend Erstaufführungen gezeigt werden – was bei dem beinahe zeitgleich stattfindenden Termin als Kampfansage zu werten ist. Dabei müsste dem Filmwirtschaftsstandort München vor dem Provinz-Parvenü aus Rheinland-Pfalz nicht bange sein. Doch die 50000 Euro Preisgeld, die dort für den besten Film auf den Tisch gelegt werden, sind ein verlockender Köder. Zumal der in München vergebene „Förderpreis deutscher Film“ mittlerweile auf die gleiche Stufe geschrumpft ist: Die privaten Sponsoren Hypovereinsbank, Bavaria und Bayerischer Rundfunk haben den Förderpreis in diesem Jahr von 80000 auf 60000 Euro verknappt – wobei noch mal 10000 Euro an das Festival in Hof abgetreten werden müssen.

Dazu kommt, dass die Verleihung des Preises bereits zur Wochenmitte dramaturgisch unglücklich ist und die Vorauswahl der Nominierungen uneinsichtig bleibt; zum Teil geht sie sogar an Entscheidungen des Festivals vorbei. Man fragt sich also, ob die einst so reibungslose Symbiose zwischen dem Filmfest und den Sponsoren noch funktioniert. Verkommt der immer noch prestigeträchtige zum nur mehr renommierten Preis? Andreas Ströhl ist ein fröhlicher Mensch. Im Gesicht des Festivalchefs sieht man auch im zweiten Jahr seiner Amtszeit vorwiegend Lach- und wenig Sorgenfalten. Vielleicht wird er sich demnächst ein paar ernste Gedanken machen, wenn sein nachfestlicher Alltag beginnt.

Julian Hanich

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