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Kultur: Leidenschaft in Watte

Petersburgs Mariinsky Theater zeigt bei den Berliner Festwochen die „Lady Macbeth von Mzensk“

Von Sybill Mahlke

Imperator Valery Gergiev siegt mit seinem Mariinsky Theater, wohin er kommt. Er zieht in die Welt, um seinem Theater zu dienen. Es ist der Grüne Wagen eines Weltstars, das Wunder von St. Petersburg. Im postkommunistischen Russland hieß seine Sorge zunächst, dass es warmes Wasser geben musste: Der Alltag war zu bewältigen, bevor zielstrebig Plattenverträge und Gesamtgastspiele anvisiert wurden. Die Unbedingtheit, mit der ein Künstler sich in diesen Dienst an seiner Heimat stellt, mag mit einem Stück diktatorischen Wesens zu tun haben, das in dem treusorgenden Demokraten steckt.

Der Herrscher über das brillante Orchester und die nicht minder perfektionierten Chöre des Mariinsky dirigiert am ersten Abend seines Berliner Festwochen-Gastspiels „Lady Macbeth von Mzensk“, und es ist nicht zu leugnen, dass er an die expressive Schostakowitsch-Partitur mit überwiegend pauschalem Feuer herangeht. Das Polizeiorchester Berlin wirkt mit seiner fröhlichen Bühnenmusik in dem Umfeld der Petersburger Gäste geradezu diskret. Gespielt wird die von der „Prawda“ 1936 geprügelte Urfassung. Das Stück sei „roh, primitiv, vulgär“, hieß es damals. Heute macht diese Frechheit der Musik ihren grellen Reiz aus. Die junge schöne Katerina Ismailowa hat den langweiligen Kaufmann Sinowi geheiratet. Das häusliche Leben der Frauen unter der Diktatur der Schwiegereltern im zaristischen Russland, zumal in der Provinz, ist praktisch Gefängnis: Niederknien vor dem abreisenden Gatten, Kochen für dessen geilen Vater, Kerzenlicht sparen. Es kommt zum Geschlechtsverkehr mit dem ersten Besten, einem Handlungsgehilfen oder Hilfsarbeiter namens Sergej, und das Zwischenspiel „Liebesszene“, das Schostakowitsch dazu schreibt, geht in die Musikgeschichte ein: als onomatopoetische Darstellung des Liebesakts mit aggressiver Orchestrierung.

Paradox erscheint im 21. Jahrhundert, wie verschämt die Inszenierung Irina Molostowas dem unverschämten Stück begegnet. In der praktikablen Holzbretterszenerie Georgi Zypins, einer Bretterbühnenarbeit, auf der man alles und jedes spielen kann, wird ein Schritt ins theatralische Vorgestern getan, in eine Prüderie der Andeutung, des „Als ob“, an der das westliche Regietheater glatt vorbeigegangen ist. Die Petersburger haben offenbar noch keine Erfahrung damit, wie weit man zu weit gehen darf. Nicht allein, dass die derbe Sinnlichkeit des Originals keusch versteckt wird oder hinterm Vorhang als illustrierender Schattenriss die Direktheit der Musik unterbietet – zudem schimmern in der Personenregie Strieses selige Zeiten auf: Unter den Zwangsarbeitern, in deren Zug das Mörderpaar sich am Ende findet, hat der Arbeiter Sergej einen Sonderschlafplatz in der Bühnenmitte, weil der folgende Dialog mit Katerina eben nicht am Rand spielen darf. Man stelle sich einen Gefangenentransport vor, der mit strenger Bewachung nichts zu tun hat. Das Fagott, das Englishhorn triumphieren. Die Sänger aber bleiben seltsam eigenschaftslos.

Als das Ensemble vor zwei Jahren mit demselben Stück – Regie: Peter Mussbach – in Salzburg gastierte, kamen vom Mariinsky Theater pralle Typen: Allen voran Larissa Shevchenko, eine Katerina von vulkanischer Energie. Solche Persönlichkeiten gehen der Produktion, die in der Deutschen Oper durch Tafelfreuden im Foyer auf vier Stunden gedehnt wird, ab: Geblieben ist Fjodor Kusnezow, ein Pope mit verführerischem Bass, der schon an der Salzach auffiel. Gennadi Bessubenkow als Boris wirkt eher wie ein Greis mit Podagra denn wie ein lüsterner Schwiegervater. Die Lady der Irina Loskutowa ist eine junge, brave, tremolierende Sopranistin, die auf die Länge nicht nur das Interesse ihres Liebhabers (Oleg Balaschow mit frischem Tenor) verliert. Der betrunkene Bauer, der auf der Suche nach Wodka eine Leiche im Keller findet, könnte bei Konstantin Plushnikows Spieltenor eine hübsche kleine Charakterszene haben – wenn das Orchester nicht so laut wäre.

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