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Kultur: Leiko Ikemura: Geschichten aus der Zwischenwelt

Wie in kaum einer anderen Straße der Stadt treffen sich in der Oranienburger Straße das neue und das alte Berlin: schicke Szenelokale und heruntergekommene Fassaden, Hauptstadttouristen und Scheunenviertel-Bewohner, schaukelnde Straßenbahnen und Zuhälterkutschen. Wer hier eine Verabredung hat, weiß vorher selten, auf welchen Teil der Oranienburger Straße er diesmal trifft.

Wie in kaum einer anderen Straße der Stadt treffen sich in der Oranienburger Straße das neue und das alte Berlin: schicke Szenelokale und heruntergekommene Fassaden, Hauptstadttouristen und Scheunenviertel-Bewohner, schaukelnde Straßenbahnen und Zuhälterkutschen. Wer hier eine Verabredung hat, weiß vorher selten, auf welchen Teil der Oranienburger Straße er diesmal trifft. Eine Überraschung versprach deshalb auch die Wohnung von Leiko Ikemura. Erst im vergangenen Jahr hat die japanische Künstlerin hier Quartier bezogen. Wo heute goldglänzender Stuck und marmorierte Säulen die Pracht vergangener Tage zitieren, musste man vor wenigen Monaten noch auf dem Weg ins Hinterhaus Zementmischmaschine und Bauschutt umrunden. Im obersten Stockwerk aber öffnet sich nach dem typischen Jahrhundertwende-Entree wieder eine andere Welt: hölzerne Schiebetüren, wie man sie aus der asiatischen Architektur kennt, Raum teilende Milchglasscheiben, die an die Gradlinigkeit und Ruhe japanischer Interieurs erinnern.

Leiko Ikemura ist die Verwunderung neuer Besucher gewöhnt. Nein, erklärt sie gelassen, diese Innengestaltung gehe nicht auf ihren Wunsch zurück; die habe sich der Architekt für den Umbau lange vor ihrem Einzug einfallen lassen. Ein überraschender Wink bei der Wohnungswahl, der Leiko Ikemura nach Jahren des Vagabundierens innerhalb Berlins wohl endgültig ankommen lässt. Denn seit sie 1991 an die Hochschule der Künste berufen wurde, ist sie etliche Male innerhalb der Stadt umgezogen, konnte sie sich bislang nie ganz von Köln verabschieden, wo die Künstlerin auch jetzt noch ein Atelier unterhält. Doch nun ist sie entschlossen, Berlinerin zu werden. Der anhaltende Künstlertross gen Hauptstadt hat sie endgültig mitgezogen, auch wenn sie sich - trotz zentraler Wohnlage - mehr am Rande hält.

Ihre Werke würden auch kaum in die neue, hippe Szene passen. Leiko Ikemura bleibt nicht nur dem klassischen Kanon Malerei und Bildhauerei verpflichtet, auch die ruhigen, stillen Motive wirken eher fremd zwischen der neuesten Auflage von Neo-Pop und zeitgeistigen Installationen, die nur wenige Meter Luftlinie entfernt in der Galerienmeile zwischen August- und Linienstraße gezeigt werden. Und dennoch stößt man auf allen großen Kunstmessen auf Ikemuras Gemälde und Skulpturen; im vergangenen Jahr würdigte sie die Kunstzeitschrift "Art" mit einem großen Einzelporträt; im Rahmen des diesjährigen Berliner Theatertreffens wurde sie vom Verband der deutschen Kritiker mit dem Kritikerpreis ausgezeichnet. Die Liste ihrer Ausstellungen verrät zudem, wie gefragt ihre Arbeiten in aller Welt sind. Zuletzt stellten das Musée des Beaux-Arts in Lausanne und das Municipal Museum of Art in Toyota ihre Werke aus. Ihre nächsten Auftritte aber wird sie endlich wieder in Berlin haben, wo die Charlottenburger Galerie Haas & Fuchs ihr als Startschuss einer neuen Zusammenarbeit Ausstellung samt Katalog widmet (ab 5. Oktober). Schon heute eröffnet die HdK-Professorin in der Zionskirche eine Schau mit Arbeiten von 25 ihrer Studenten.

Doch aller Präsenz im aktuellen Kunstgeschehen zum Trotz gehört die seit 1983 in Deutschland lebende Japanerin nicht zu den festen Größen des Betriebs. Ihre Arbeiten erscheinen zu zart, zu flüchtig, zu sehr im Übergang begriffen im Vergleich zu Großkalibern wie Baselitz oder Immendorff, die wie sie gleichzeitig in beiden Medien - Malerei und Skulptur - arbeiten. Wer Leiko Ikemuras Arbeiten einmal gesehen hat, wird sie dennoch nie vergessen. Ihre traumwandlerischen Mädchengestalten spinnen sich hartnäckig ins Gedächtnis eines jeden Betrachters ein, ihre in Terrakotta geformten, in Bronze gegossenen Zwitterwesen zwischen Tier-, Mensch- und Pflanzengestalten besitzen eine archaischen Kraft, die ans Unheimliche grenzt. Woher diese Formfindungen kommen, vermag die Künstlerin selbst nicht zu erklären. Sie will es auch nicht, um dem Mysterium des Schöpfungsaktes sein Geheimnis zu lassen. Dazu passt nur zu gut, dass ein schnurrender Vierbeiner, die Katze Miko, erklärtermaßen ihre Muse ist. Denn selbst wenn sie über Jahre Hausgenossen, ja Vertraute sind, bewahren sich Katzen doch immer das Eigene, das Fremde. Auch für Leiko Ikemuro ist das Moment des Fremden ein wichtiger Faktor, aus dem sie Kraft und künstlerische Inspiration schöpft. 1951 im japanischen Fischerdorf Tsu Mie geboren, verließ sie schon als Zwanzigjährige die Heimat, um in Spanien ihr Studium fortzusetzen.

Ihre nächste Station war die Schweiz, die sie jedoch vier Jahre später wieder verließ, nachdem sie ein längerer Aufenthalt in Nürnberg als Stadtzeichnerin mit der boomenden Kunstszene der Bundesrepublik bekannt gemacht hatte. Prompt folgte der Umzug in die Hochburg Köln, wo sie nach der eher beschaulichen Schweiz umso mehr die Reibung mit den Künstlerkollegen suchte, obwohl sie bereits in der Zeit das Geschehen gern von Außen beobachtete.

Womöglich aber braucht es diese Positionen im Kunstbetrieb, die beharrlich das Eigene verfolgen, während der allgemeine Trend gerade wieder eine andere Richtung nimmt, Künstler eben, die sich als "Halbfremde" empfinden und gerade in einer solchen Situation herausgefordert, ja "echter" fühlen, wie Leiko Ikemura es formuliert. Sie ist überzeugt, gerade durch diese Qualität des Anderen mit ihren Bildern einer Stadt wie Berlin etwas bieten zu können, dort, wo Kategorien wie Melancholie, Trauer oder Schmerz in der Kunst ansonsten kaum Konjunktur haben. So entstand Mitte der neunziger Jahre ausgerechnet hier ihre Serie der schwarzen Bilder, jene mit tiefster Dunkelheit vollgesogenen Leinwände, vor deren undefinierbarem Hintergrund jene mädchenhafte Gestalten lagern oder quer zur gelblichen Horizontlinie stehen, die für Ikemura so charakteristisch sind. Diese rätselhaften Wesen auf der Schwelle vom Kind zum Frausein sind als Protagonistinnen zwar geblieben, doch beginnen sie nun merkwürdige Doppelexistenzen zu führen, als würde die Seele aus ihrem Körper treten. Und plötzlich ist auch die Farbe wieder zurückgekehrt: die Hintergründe leuchten in Gelb, Rot und Blau. Was das zu bedeuten hat, darauf will sich die Künstlerin ebenfalls nicht festlegen lassen. Aber wenn das nicht trotzdem ein Zeichen für Berlin ist.

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