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Die Schriftstellerin Lena Gorelik, 35

© imago/Jakob Hoff

Lena Gorelik und ihr neuer Roman: Du bist nicht in mich

Viel Musik, viele Farben - und eine Fahrt nach Auschwitz: Lena Gorelik erzählt in „Mehr Schwarz als Lila“ von der Verwirrung der Gefühle in jungen Jahren.

Teenager sprechen gern in Ellipsen, wenn es um die Liebe oder erste amouröse Beziehungsverhältnisse geht. Ich bin in ihn oder ich bin nicht in sie, sagen sie dann. Oder sie fragen: Seid ihr wirklich? Ist er nicht in sie? Auch die 1981 in St. Petersburg geborene Schriftstellerin Lena Gorelik weiß das und lässt die Heldin ihres neuen Romans „Mehr Schwarz als Lila“ des Öfteren mit diesem Stilmittel experimentieren – so wie hier überhaupt viel von Sprache und ihrem Ausdruck die Rede ist, die Figuren sich in Sätzen mit den gelungensten Alliterationen zu überbieten versuchen oder diskutieren, was der Unterschied zwischen einer Metapher und einer Allegorie ist.

Zu Beginn hat man jedoch den Eindruck, als würden die vielen möglichen sprachlichen Mittel der Geschichte, die Lena Gorelik respektive ihre Heldin Alexandra erzählen will, erst einmal im Wege stehen, ihr gewissermaßen die Sprache verschlagen. „Diese Geschichte ist lang,“ verkündet Alexandra also, „und sie ist kurz, sie ist verwirrend und vertrackt, verworren ist sie auch, und manch einer würde vielleicht sagen, sie ist verrückt, aber ich nicht“. Dann raunt sie noch, dass diese Geschichte ein Ich sei, ein Du, „ein bisschen Vielleicht“, aber kein Er, und immerhin wird schnell klar, dass Alexandra nicht nur von ihrer engen Freundschaft mit Ratte, die eigentlich Nina heißt, und Paul erzählen will, sondern es da eine weitere nicht ganz unbedeutende Person gibt, die sie unentwegt in der zweiten Person Singular anspricht.

Das wirkt gewöhnungsbedürftig, auch etwas aufdringlich und seltsam intim, ergibt aber Sinn, weil diese Figur einer anderen Alterskohorte als die der drei 17-jährigen Schüler angehört. Das Du, an das dieser Roman in Teilen adressiert ist, wird verkörpert durch den neuen Referendar an der Schule. Er heißt Daniel, wird von Alex, Ratte und Paul lieber Johnny genannt und unterrichtet Geschichte und, na klar, Deutsch. Sie freunden sich an, er geht mit ihnen in eine Tracey-Emin-Ausstellung, erklärt ihnen, warum er Javier Marías Roman „Alle Seelen“ so schätzt oder wer die Band Ben Folds Five ist. Alexandra verliebt sich in ihn, mal mehr, mal weniger ahnend, dass das eigentlich nicht geht. Vor allem aber spürt sie, dass wegen dieser und einer anderen aufblühenden Liebe ihre Freundschaftsdreierkiste gefährdet ist, ihr großes Wir, das es schließlich auch noch gibt.

"Wut ist ein Gefühl. Liebe ist ein Gefühl. Angst ist ein Gefühl."

Gorelik versteht es geschickt, die Verwirrung der Gefühle in jungen Jahren in vor allem kurze Sätze zu kleiden. Sie hat ein gutes Gespür für diese seltsame Zwischenzeit, in der man zu verstehen beginnt, sich von Kindheit und Jugend verabschieden zu müssen, da Liebe und Leben so urplötzlich einschlagen und wegen neuer Beziehungskonstellationen alte Freundschaftsbünde loser werden.

„Mehr Schwarz als Lila“ ist zudem mit viel Musik und sinnfälligen Songtexten von Leonard Cohen bis Pink Floyd unterlegt (ob 17-Jährige das wirklich gern hören?) und, wie es der Titel verspricht, mit vielen Farben versehen: dem Schwarz, das Alexandra ausschließlich trägt und das sie trotzig als Farbe verteidigt, von ihr aber mit vielen bunten Söckchen konterkariert wird. Oder den blonden Haaren von Paul und den dunklen Rastalocken von Nina und ihren zumeist grünen Chucks.

Das alles würde ja reichen für einen gelungenen Adoleszenz-Roman. Nur: Warum muss Gorelik das Ganze ausgerechnet in Auschwitz dramatisch zuspitzen? Ihre Helden gehen hierhin auf Klassenreise, wo Alexandra dann Paul küsst, ohne sich ihrer Gefühle zu ihm oder dem Referendar im Klaren zu sein: „Wut ist ein Gefühl. Liebe ist ein Gefühl. Angst ist ein Gefühl. Angst zu verlieren, ist ein größeres Gefühl.“ Ein Foto geht durch die sozialen Medien, und es stellt sich die Frage: Darf man sich an diesem Ort küssen, hier seine Beziehungsprobleme klären? Darf man wirklich nicht? Eine Antwort bleibt aus. Beim dann doch kitschigen Ende zumindest offenbart sich: „Verrückt“ ist diese Geschichte nicht. Vielleicht ein wenig überinstrumentiert und dick aufgetragen, aber gezielt aus dem Gefühlsleben von Teenagern schöpfend.

Lena Gorelik: Mehr Schwarz als Lila Roman. Rowohlt Berlin, Berlin 2017. 251 Seiten, 19, 95 €. Ab 14 Jahre.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

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