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Marc Minkowski und seine Musiciens du Louvre

© Benjamin Chelly

Les Musiciens du Louvre in Berlin: Ein Werk, das es niemals gab

Die Sonne geht auf: Marc Minkowski und sein Ensemble Les Musiciens du Louvre spielen Musik von Rameau in der Staatsoper.

Es ist ein überaus spannender, wenn auch nicht ganz fairer Vergleich: Am Sonntag hat Simon Rattle Jean-Philippe Rameaus „Hippolyte et Aricie“ an der Staatsoper dirigiert, mit dem Freiburger Barockorchester im Graben. Zwei Tage darauf spielt dann auch Marc Minkowski mit seinem Ensemble Les Musiciens du Louvre Musik von Rameau Unter den Linden. Die Gäste aus Grenoble musizieren dabei aber auf der Bühne, und sie müssen sich auch nicht durch ganze Opern wühlen. Auf überaus elegante Weise hat Minkowski aus Zwischenmusiken und Tänzen aus Balletten, Ballettopern und den Tragedies lyriques eine „Symphonie imaginaire“ geschaffen. Denn obgleich Rameaus Werk reich an Facetten und seine Schaffensspanne lang war, hat er nie eine Symphonie komponiert.

Minkowski kann sich noch immer für seine Kreation begeistern, die zu einem Paradestück seines Ensembles avanciert ist. In einer sich überschlagenden Kurzeinführung purzeln Französisch, Englisch und Deutsch durcheinander, Gesten und Gesang – raumfüllend, ohne Mikrofon. Haydns Schöpfung, einen Strawinski des 18. Jahrhunderts und cool dance music entdeckt der Dirigent in den 17 kurzen Sätzen. Und er verspricht damit nicht zu viel. Les Musiciens du Louvre beherrschen Rameaus Lichtdramaturgie meisterlich, im Entrée de Polymnie aus Rameaus letzter Oper „Les Boréades“ gelingt ihnen sogar das Kunststück, die Sonne gleichzeitig auf- und untergehen zu lassen. Auf ihren historischen Instrumenten finden die Musikerinnen und Musiker zu einer faszinierenden Balance zwischen fein abgetönten Klangfarben und rhythmischem Drall und verwandeln das für den Helden schicksalhafte Verstreichen der Zeit in ein Hördrama, das durch die Jahrhunderte schwingt. So viel selbstverständliche Delikatesse ist Rattle nicht gelungen. Minkowski nutzt die Begeisterung des Publikums – und lädt gleich noch für den nächsten Morgen um 11 Uhr zu noch mehr Rameau in den Apollosaal ein.

Nach der Pause widmen sich Les Musiciens du Louvre dann Felix Mendelssohn Bartholdys „Schottischer“ Symphonie, und man hört im ersten Satz heraus, wie genau Minkowski den „Fliegenden Holländer“ kennt, der nur ein Jahr später uraufgeführt wurde. Hier allein wahre Tiefe, dort bloßer Effekt – so sah Wagner selbst den Fall. Minkowski widerspricht dem mit Hingabe und hält den Himmel über Highlands und Hebriden in stetiger Bewegung. In die geballte Melodienseligkeit biegt er mit zartem Widerstand ein, der sein fulminantes Orchester von innen glimmen lässt.

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