zum Hauptinhalt
Bühnenpoetin. Paula Varjack performt für ein internationales Publikum.

© David von Becker

Lesebühnen: Going to the Volkshochschule

Neu-Berliner rackern sich mit der deutschen Sprache ab. Der wilde Mix kommt auch auf den Lesebühnen an. Ein Rundgang für Denglish-Fans.

„Es war mein dreißigster Geburtstag, da wollte ich was Verrücktes machen“, erinnert sich Paula Varjack an ihren ersten Auftritt auf einem Poetry Slam. Das war vor vier Jahren im Schokoladen in Mitte. Weil die in Washington geborene Londonerin kein Deutsch sprach, performte sie auf Englisch. Klar, sie war aufgeregt, aber es gab auch Vorteile: „Ich fühlte keinen Wettbewerbsdruck, weil ich in einer anderen Sprache aufgetreten bin. Das war, wie mit Ballettschuhen einen Boxkampf zu machen.“

Inzwischen hat es Paula Varjack – dunkelrot gefärbte Lockenmähne, wild gemusterte Leggins, tiefe Stimme – in der Berliner Szene zu einiger Berühmtheit gebracht. „Wer von euch hier ist deutsch?“ fragt Paula Varjack das Publikum bei einem ihrer Auftritte im Hinterzimmer einer Neuköllner Kneipe. Die Hälfte der Arme geht hoch. Es ist allseits bekannt, dass viele junge Menschen aus der ganzen Welt in die Stadt kommen. Und so hat sich auch auf den Bühnen eine rege englischsprachige Kultur entwickelt.

Paul Salamone veranstaltete zu Hause im US-amerikanischen Colorado selbst regelmäßig Poetry Slams. Bei so einem Dichterwettstreit kann jeder mitmachen, fünf Minuten ist Zeit, einen selbst verfassten Text vorzutragen. Eine Jury, meist aus dem Publikum, kürt den Sieger. Im englischsprachigen Raum legt man viel Wert auf die „Poetry“, es werden ernsthafte Gedichte vorgetragen. Auf deutschen Slams werden meist witzige Geschichten erzählt. „Meine Texte sind eher humorvoll und politisch unkorrekt, das passt besser in die deutsche Szene“, sagt Salamone, der wie Varjack zuerst nur eine Weile in Berlin bleiben wollte. Dann fand er einen Job als Grafikdesigner, über Freunde kam er in die Poetry-Slam-Szene. Inzwischen tritt er bis zu fünfmal pro Woche auf und ist Gastgeber seiner eigenen Show „Comedy in Sin“ in der Sin Bar in Kreuzkölln. „I hope you guys can understand me, I speak a strange German dialect – called English“, begrüßt er seine Gäste, ehe er von seinen guten Absichten erzählt: „I am now going to the Volkshochschule in Marzahn to learn Hochdeutsch.“

Gerade hat der 35-Jährige eine neue Open-Mic-Show mit dem Quatschnamen „We are not gemüsed“ ins Leben gerufen, jeden Dienstag bittet er seine Gäste im Sameheads in der Richardstraße ans Mikrofon. Außerdem wird er ab Herbst regelmäßig in einer frisch gegründeten deutsch-englischen Lesebühne auftreten. Anders als beim Poetry Slam haben Lesebühnen etwa vier bis sechs feste Mitglieder, meistens werden noch Gäste eingeladen – und die Texte werden tatsächlich vorgelesen und nicht frei vorgetragen. „Das Publikum ist nicht so gnadenlos wie beim Poetry Slam, die Texte dürfen ruhig etwas intelligenter sein, man ist nicht so zwanghaft auf der Jagd nach Pointen“, erklärt Salamone.

Die neue Lesebühne wird er zusammen mit Jacinta Nandi bestreiten. Die gebürtige Londonerin, seit zwölf Jahren in Berlin, ist bereits bei zwei Lesebühnen Mitglied: Mit den Surfpoeten tritt sie mittwochs in Prenzlauer Berg auf, mit der Rakete 2000 zweimal im Monat in Neukölln. Inzwischen liest sie ausschließlich deutsche Texte. „Ich spreche ein so starkes Cockney-Englisch, dass mich in Deutschland eh keiner versteht“, sagt die 32-Jährige. „Außerdem kann ich einfach nicht langsam sprechen, auf Englisch bin ich noch schneller als auf Deutsch.“

An die vierzig Leute sitzen im gut gefüllten hinteren Raum im „Ä“ in der Weserstraße. Der Altersdurchschnitt liegt bei Mitte zwanzig, Wuschelköpfe sitzen neben hochgebundenen Dutts. Mit ihren knappen 1,60 Metern reicht Jacinta Nandi kaum ans Mikro heran. Das Thema des Abends lautet „Zombies“, Nandi nimmt die Zuhörer mit in die Südostlondoner Küche ihrer Mutter, die versucht, sich selbst die Faszination der Deutschen für Horrorfilme zu erklären: „Sie sehen das als Metapher für die Scheiße, die sie im letzten Jahrhundert gebaut haben. Wahrscheinlich sind Zombie-Filme wie eine Therapie für die junge deutsche Leute heutzutage.“ Wenn Jacinta Nandi die Ansichten ihrer Mutter auf die Schippe nimmt, lässt sie sich von deutscher Grammatik und Aussprache nicht einschüchtern, Zukunft wird zu „Sükünft“, fantasielos zu „ünfantasievoll“.

Ganz anders funktionieren Paula Varjacks Auftritte: Nach zwei gescheiterten Versuchen auf Deutsch bleibt sie lieber beim Englischen. Dafür bewegt sie sich im Rhythmus ihrer Worte, manchmal unterlegt sie die Texte mit Musik: „Damit auch diejenigen, die nicht alles verstehen, etwas davon haben.“ Bei einem Auftritt in Flensburg wurde Varjack einmal von einem freundlichen älteren Herrn angesprochen: Das sei ja alles sehr schön, was sie mache, aber Flensburg sei eben nicht Berlin, hier verstehe sie leider keiner.

„Berlin ist die einzige deutsche Stadt, in der man leben, arbeiten und sogar mit Texten auf eine Bühne gehen kann, ohne Deutsch zu sprechen“, sagt Varjack. Das hat sie allerdings auch davon abgehalten, an ihren Sprachkenntnissen zu feilen: „Weil ich in Berlin so viel auf Englisch machen kann, habe ich nie den nötigen Ehrgeiz entwickelt, um ordentlich Deutsch zu lernen“, gibt Varjack zu.

Paul Salamone geht das ähnlich. Ihm verhalf der Poetry-Slam-Veranstalter Tom Mars zu seinen ersten Auftritten. Er findet die Mehrsprachigkeit gut: „Viele sind in der eigenen Sprache viel besser, auf Deutsch wirken sie oft hölzern. Man sollte nur zwei Regeln beachten: langsam sprechen und ab und zu mal eine Phrase auf Deutsch einstreuen, darauf steht das Publikum.“ Der gebürtige Paderborner Mars hat früher selbst auf Englisch geslammt, wenn viele Ausländer im Publikum saßen: „Das wäre ja schade, wenn die gar nichts verstehen – außerdem lacht dann keiner!“ Inzwischen kommen genug anderssprachige Performer zu seinem „Acker-Slam“ im Mauerpark und dem „Slam des Westens“ in Schöneberg.

Kürzlich ist Paula Varjack zum Studieren wieder nach London gezogen, kommt aber regelmäßig für Auftritte zurück: „Berlin ist mein Versuchslabor, hier kann ich Dinge ausprobieren, die ich mich anderswo nicht trauen würde.“ Bisher ist sie eine der wenigen, die das Hobby zum Beruf gemacht haben. Auch Paul Salamone denkt darüber nach, den Grafikdesign-Job an den Nagel zu hängen, sein Traum ist es, professionell als Comedian zu arbeiten. Aber: „Dafür müsste ich wohl zurück in ein englischsprachiges Land – oder doch endlich richtig gut Deutsch lernen.“

Nächste Termine: Surfpoeten, Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, 24.9., 21 Uhr; We are not gemüsed, Sameheads, Richardstr. 10, 25.9., 20.30 Uhr; Slam des Westens: AHA, Monumentenstr. 13, 26.9., 20 Uhr; Rakete 2000, Ä, Weserstraße 40, jeden 2. Donnerstag im Monat, 21 Uhr; Acker-Slam, Mauersegler, Bernauer Str. 63, jeden 2. Donnerstag, 20.30 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false