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Kultur: LESEN IST KEINE KUNST: BÜCHERTISCHE

Wenn es ein Symbol für ambitioniert-kritische Ausstellungsarchitektur in den Neunzigerjahren gibt, dann ist es der Büchertisch. Kunst – die man allenfalls erlesen konnte.

Wenn es ein Symbol für ambitioniert-kritische Ausstellungsarchitektur in den Neunzigerjahren gibt, dann ist es der Büchertisch. Kunst – die man allenfalls erlesen konnte. Wir erinnern uns an die Biennale in Venedig, wo im letzten Saal vom „Arsenale“ der Besucher die von einem Team um Hans Ulrich Obrist zusammengestellte „Utopia Station“ erreichte, ein unglaubliches Wirrwarr unter dem Deckmäntelchen des work in process, das wie ein letztes großes Aufbäumen der Zettel-, Bücher- und Diskussionskultur wirkte. Aber da der künstlerische Beitrag von Carsten Höller darin bestand, in diesem Sektor die Namensschildchen abzuschaffen, wurde die Veranstaltung zu einer Selbstfeier der Eingeweihten.

Schon ein Jahr zuvor, auf der von Okwui Enwezor kuratierten Documenta 11, schien sich eine neue Ästhetik durchgesetzt zu haben: Gesellschaftlich ambitionierte Kunst und eine visuell reizvolle Präsentation der Werke müssen kein Widerspruch sein. Dazu beigetragen hat vor allem das präzise Ausstellungsdesign der Architekten Kühn/Malvezzi, die exemplarisch für eine neue Generation von Ausstellungsarchitekten stehen.

Als hätte es all das nicht gegeben, und als wäre Ute Meta Bauer als Co-Kuratorin nicht sogar beteiligt gewesen, rutscht ihre Berlin- Biennale wieder zurück zum Beginn der Neunziger: Baumarktästhetik, blasig aufgeklebte Plakate auf wackligen Stellwänden, lieblose Videokabinette, in denen man den Ton von nebenan hört und, na klar, Lesetische, an die die Bücher wie Sklaven angekettet sind. Glaubt man wirklich, dass sich jemand den über 90-Minuten-Film von Samira Gloor-Fadell ansieht, wenn er derweil auf den Treppen des Martin-Gropius-Baus stehen muss?

Katrin Wittneven

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