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Kultur: Lesezimmer: Selbstgepflückt

Manchmal muss man an einfache Weisheiten erinnern, etwa an die des Kölner Schriftstellers Wolfgang Bittner: "Die richtige Wortwahl ist ausschlaggebend für das Gelingen eines Textes." Gustave Flaubert habe, so erzählt man sich, tagelang nach dem "mot juste", nach dem exakt passenden Wort gesucht .

Manchmal muss man an einfache Weisheiten erinnern, etwa an die des Kölner Schriftstellers Wolfgang Bittner: "Die richtige Wortwahl ist ausschlaggebend für das Gelingen eines Textes." Gustave Flaubert habe, so erzählt man sich, tagelang nach dem "mot juste", nach dem exakt passenden Wort gesucht ... und hat es, wie seine großartigen Romane belegen, meistens gefunden. Für Autoren von heute gilt das nicht immer; sie reihen Wörter aneinander, füllen Dateien und Festplatten, denn wenn sie nicht jeden Herbst ein neues Buch vorlegen, verschwinden sie im Orkus des Vergessens. Da bleibt nicht immer Zeit, sich um die einzelnen Vokabeln zu kümmern. Jutta Ditfurth zum Beispiel, die früher den Beruf einer rotgrünen Fundamentalistin ausübte, konnte 1995 nicht an sich halten und schrieb einen Thriller, für den sich sogar ein Verlag fand. "Blavatzyks Kinder" hieß das Teil, das ich aufgrund einer klitzekleinen Stelle lieb gewonnen habe. Hauptfigur Robert, ein Saxophon spielender Journalist, besucht dort einen Freund in Wien, wo der denkwürdige Satz fällt: "Nach zwei Tagen fiel ihm auch dort das Dach auf den Kopf." Knapp daneben, schade, "Dach" statt "Decke".

So hapert es manchmal an der Idiomatik. Frau Ditfurth teilt dieses Schicksal mit vielen Kollegen. Nicht immer freilich liegen die Fälle so klar auf der Hand. Bei Peter Handke etwa ist es verwickelter. Sein letzter Roman, "Der Bildverlust", erhitzte die kritischen Gemüter sofort, denn kein Absatz in diesem langen Buch ist so geschrieben, dass man dafür einen Proseminarschein in Stilkunde erhielte. Manche halten das wiederum für Absicht und Kunstfertigkeit. Wie auch immer: Die Kritik hatte zu tun, als Handkes Opus erschien, mit dem Werk, mit sich und den Kollegen. Einem von diesen wurde die Gunst zuteil, den Dichter vor den Toren von Paris aufzusuchen und vom ihm bewirtet zu werden. Im Bericht darüber heißt es: "Peter Handke hat den Tisch gedeckt. Es gibt Spaghetti mit selbstgepflückten Pfifferlingen und gebratene Maronen aus dem Garten." Fällt etwas auf? Vielleicht muss man wie ich viele Sonntagnachmittage damit verbracht haben, unter väterlicher Anleitung "in die Schwammerl zu gehen", auf Pilzsuche also. Ob im Mainhardter Wald oder in den Leoganger Bergen - wir hatten stets die Augen auf Steinpilze, Rotkappen, Birkenpilze, Pfifferlinge gerichtet. Riskantere Exemplare kamen uns nicht ins Spankörbchen und in den Suppentopf. Vielleicht muss man diese Schule durchlaufen haben, um sich am Verbum "pflücken" zu stoßen. Geht das? Sagt man so? Eher nein, aber wie heißt es richtig?

Ein harmloser Satz in der Mittwochsausgabe einer Tageszeitung bringt den ganzen Tagesablauf durcheinander, zwingt zu weitreichender Recherche und zu umständlichen Telefonaten. Der Duden zeigt sich unschlüssig und definiert das Pflücken so: "Früchte vom Baum, Strauch, von der Pflanze abnehmen; Blumen, Blätter o.ä. mit dem Stiel abbrechen". Das hilft nicht weiter, denn offen bleibt, ob der Pfifferling unter "o.ä." fällt oder nicht. Spontane Äußerungen von Waldpilzkundigen negierten das Verb einhellig, ohne überzeugende Alternativen zu bieten. "Sammeln", "ernten", "suchen" ... das alles sind Verben, die mit Pilzen harmonieren, jedoch nicht den gleichen Vorgang bezeichnen. Eine Münchner Kunsthistorikerin, die über Wandererfahrung im Bayerischen Wald verfügt, wollte sich nicht festlegen, aber "pflücken" keineswegs akzeptieren; der thüringische Verfasser des Pilzführers "Hexenei und Krötenstuhl" stritt das Verb energisch ab, wollte seine Verwendung nur in ironischem Kontext gestatten.

Und was sagt das Internet, diese Geröllhalde sinnvollen und -losen Wissens? Nichts Eindeutiges. Immerhin ließ es mich wissen, dass im August 2000 Heinz Engel von der "Pilzkundlichen Arbeitsgemeinschaft Weidhausen" auf Einladung des Oberschleichacher Umweltbildungszentrums über den Pilz an sich und im Besonderen referierte und - Wasser auf den Mühlen des Handke-Gastes - erläuterte, dass Pfifferlinge und Steinpilze "für den eigenen Bedarf gepflückt werden" dürften. So zeigt sich, wie schwer es ist, für einfache Vorgänge des Lebens die passenden Wörter zu finden.

Wie es wohl bei Handke selber heißt? Ich bin mir sicher, dass in seinen vielen Romanen Pilze vorkommen und diese auf irgendeine Weise aus dem Waldboden entfernt werden. Da diese Kolumne jedoch pünktlich in Satz musste, war es mir leider unmöglich, mich in die "Niemandsbucht" oder den "Chinesen des Schmerzes" zu vertiefen, um dieser Frage nachzugehen. Nicht einmal für den "Versuch über die Müdigkeit" hat es gereicht. Intime Kenner des Handkeschen Ouvres werden gebeten, ihre Funde der Redaktion, nicht dem Autor, zu melden.

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