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Kultur: Letzte Ausfahrt Hörbranz

Bregenz will mehr als Seebühnenspektakel – etwa die Uraufführung von Judith Weirs Oper „Achterbahn“

Edel sei der Intendant, hilfreich und gut. Mit den 5,7 Millionen Euro, die er pro Saison vom österreichischen Steuerzahler bekommt, fördert der Bregenzer Festspielchef David Pountney vor allem Kunst, die es schwer hat. Das „Spiel auf dem See“ ist die Cashcow seines Festivals. Mit 6800 Plätzen pro Abend – zu Ticketpreisen zwischen 28 und 132 Euro – können sich die monumentalen Freiluft-Opernproduktionen selber tragen. Im Schatten des Spektakels mit Bodenseeblick aber hat Pountney mit dem Subventionsgeld ein hoch anspruchsvolles Programm ausgebaut.

Neben den Orchesterkonzerten und Gastspielen berühmter Bühnen (diesmal kommt das Deutsche Theater Berlin) gibt es das Education-Projekt „Crossculture“, das jährlich 10 000 Jugendliche in Kontakt mit Kultur bringt, und die Werkstatt-Produktionen von „Kaz“, also „Kunst aus der Zeit“, bei denen diesmal ein Bregenzer Beschwerdechor seine Stimme erheben wird. Außerdem wird jedes Jahr noch eine Oper im Festspielhaus geboten, die traditionell am Tag nach der Seebühnen-Eröffnung Premiere hat. Seit 1988 standen dabei Raritäten im Mittelpunkt, großartige Werke wie Martinus „Julietta“, Szymanowskys „König Roger“ oder Weinbergs „Die Passagierin“ wurden wieder ins Bewusstsein gerufen.

Für die letzten drei Sommer seiner Amtszeit hat sich David Pountney nun etwas Neues ausgedacht: Bei der Komponistin Judith Weir sowie ihren Kollegen Detlev Glanert und HK Gruber wurden Uraufführungen in Auftrag gegeben. „Opern für alle“ sollen dabei herauskommen, leicht zugängliches Theater mit Musik. Frühzeitig war Judith Weir darum immer wieder in Bregenz präsent, hat durch Gesprächsrunden und Schulbesuche den Kontakt zur Bevölkerung gesucht – weil Pountney hofft, dass sich die Leute vor Ort so als „Hebammen der Novitäten“ empfinden können.

Inspiriert von einem sizilianischen Märchen hat sich die Komponistin selber ein Libretto geschrieben, in dem es um Tina geht, eine junge Frau aus reichem Hause, deren Eltern vor der Wirtschaftskrise in ein Steuerparadies flüchten – während sie beschließt, ihr Leben mit ehrlicher Arbeit zu verdienen. Was natürlich gründlich schiefgeht.

Nach Stationen in einer Fabrik und einer Dönerbude endet sie als Bügel-Sklavin. „Achterbahn“ heißt dieser Abendkurs in Kapitalismuskritik, der in Chen Shi-Zhengs Inszenierung aussieht wie vor 20 Jahren – und klingt wie vor 70. Realistisches Musiktheater im abstrakten Raum, die Protagonistin hat knallrote Haare, das Schicksal, gesungen von einem Countertenor, trägt Trenchcoat, ein halbes Dutzend Breakdancer repräsentiert das Böse – optisch abgestandener geht es wirklich nicht.

Was die Wiener Symphoniker unter Paul Daniels Leitung dazu spielen, ist zweifellos sängerfreundlich geschrieben, aber eben auch kreuzbrav. Tonalität mit expressionistischem Makeup. die weit hinter das zurückfällt, was Benjamin Britten, Francis Poulenc oder Dmitri Schostakowitsch einst in den Grenzbereichen des tonalen Systems an Klängen gefunden haben. Weirs Personen glaubt man keine Sekunde lang, dass sie in ihrer emotionalen Not nicht anders können, als sich im Gesang zu entäußern – am wenigsten der Besitzerin einer Münzreinigung, wenn sie zum waschküchenphilosophischen Lamento über die Eitelkeit unseres irdischen Strebens ansetzt.

Während Partitur und Handlung dem lauwarmen Finale entgegendümpeln, bei dem Tina den Armen einen unerwarteten Lottogewinn schenkt, um selber mit einem Typen loszuziehen, der sie liebt, weil sie so gut bügeln kann, während sich also die 100 Minuten Aufführungsdauer wie Kaugummi ziehen, geht einem der Name des österreichischen Grenzortes zwischen Bregenz und Lindau nicht aus dem Kopf. Weil er die ästhetische Essenz dieses Abends so treffend zusammenfasst: Hörbranz.

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