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Was einen Augenblick besonders macht. Ein Jahr nach dem Tod von James Salter erscheinen seine sämtlichen Erzählungen.

© Berlin Verlag

Letzte Erzählungen von James Salter: Pfad der Größe

Er war Vertreter des heroischen Stils, als das schon nicht mehr ging. „Charisma“, die gesammelten Erzählungen des grandiosen Stilisten James Salter.

Er hatte die Wasserstoffbombe hochgehen sehen über einem Atoll im Pazifik und feindliche Kampfpiloten in tödlichen Kreisen gen Erde Trudeln. Da konnte ihn doch nichts mehr schrecken, oder? Aber als er die Uniform der US-Airforce auszog und seinen Abschied nahm, hatte er Angst, bloß nur noch irgendwer in einem Bus zu sein, ein gewöhnlicher Mann, der wie alle anderen irgendwohin wollte. Es war eine begründete Angst. „Als Schriftsteller ist man so lange ein Niemand, bis man jemand ist“, sagte James Salter, „als Jagdflieger bist du nobilitiert vom ersten Augenblick an.“

Um sich diese Angst vom Leib zu halten, schrieb Salter über Figuren, die sich abhoben. Weniger durch das, was sie taten, als das, was sie waren. Typen wie der Bergsteiger Rand, der mit seinem Rucksack und dem klirrenden Klettergeschirr auf dem Bahnsteig neben einem Pfosten steht. Umgeben von Touristen und Schulkindern, die mit derselben Bahn zum Mont-Blanc-Gletscher fahren wollen. Über ihn heißt es: „Seine Kleidung, die so anders war, die Brotlaibe, die aus seinem Rucksack ragten, die Ausrüstung, hoben ihn hervor. Es umgab ihn etwas Besonderes; als wäre er für ein anderes Leben bestimmt. Dieser Unterschied bedeutete alles.“

In beinahe jeder von Salters Geschichten taucht ein Mensch auf, der sich auf diese oder eine ähnliche Weise von seiner Umwelt unterscheidet, der glanzvoll in der Mitte von allem steht. Nicht frühere, verblassende Erfolge adeln ihn oder ein Familienstammbaum. Für den Schriftsteller, der seinen jüdischen Familiennamen Horowitz ausgelöscht hatte, ist da etwas anderes, das einen glauben lässt, dass der Name von manchen "überdauern wird“, wie Salter den Unterschied charakterisierte. Warum, wodurch – das ist das Rätsel, dem er auf der Spur war.

James Salter war vielleicht der letzte mögliche Vertreter des heroischen Stils. Er brachte alles mit, was dafür nötig war. Zweikämpfe als F-86-Pilot im Koreakrieg. Den Mut, dieses rasende Leben hinter sich zu lassen für eine Schriftstellerkarriere. Die missglückte Affäre mit der Frau seines besten Freundes, die missglückte Ehe, aus der vier Kinder hervorgingen. Der frühe Tod seiner Tochter, die beim Duschen an einem Stromschlag starb. Die erbärmlich niedrigen Verkaufszahlen seiner Bücher. Die vielen Filmdrehbücher, die nie realisiert wurden. Er lebte in Aspen, Colorado, und auf Long Island, was großartig klingt. Andererseits hatte er die Einsamkeit gewählt.

Alles kostete Zeit. Auch weil er ein Wort in seinen Fingern rieb wie Frottee

James Salters literarischer Ruhm fußt auf sechs Romanen, einem Erzählungsband und einer Autobiografie. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass sein Romandebüt 1956 erschienen war und er bis zu seinem Tod im Jahr 2015 weiterschrieb. Lange war er verkannt, galt nur etwas unter den Autoren, die er mit seinen gehärteten, gefalzten, illusionslosen Wortlegierungen beeinflusste. In einem ausführlichen "New Yorker"-Porträt hieß es: "Er beklagte sich gegenüber einem Freund über seine schleichende Produktivität, um im nächsten Moment nach Frankreich zu verduften und drei Wochen abzuhängen." Alles kostete Zeit. Auch weil er ein Wort in seinen Fingern zerrieb wie ein Stück Frottee, so drückte er es aus. Das Wort musste das beste sein. Erst 1997 gelang ihm mit seinen Lebenserinnerungen „Verbrannte Tage“ der Durchbruch. Da war er 71 und längst zu alt, um sich viel draus zu machen.

Nun folgt posthum „Charisma“, ein Band mit sämtlichen seiner Erzählungen. Erweitert um drei Vorlesungen über Literatur, die Salters ästhetisches Vermächtnis enthalten. Seine Kurzgeschichten lassen sich als biografische Morsezeichen lesen, in denen er als Schriftsteller, Liebhaber und Mann nach etwas Bleibendem, nach einer Rolle für sich sucht. Charisma, das ist Salters Lebensthema.

Seine Geschichten umkreisen die Frage beinahe obsessiv, was einen Menschen auszeichnet. In dem meisterhaften Roman „Lichtjahre“ über den Zerfall einer fein ausbalancierten Ehe, die einfach zu lange gedauert hat, wird einmal erörtert, ob Ruhm und Größe einander bedingen. Oder ob ein Mensch auf seine Weise groß sein könne, ohne Berühmtheit zu erlangen. „Ruhm ist mehr als nur ein Bestandteil von Größe“, lässt Salter seine Hauptfigur sagen, „er ist der einzige Beweis für sie. Der Rest ist nichts.“

Dieses demokratische Prinzip des Heroischen zieht sich durch Salters Denken wie eine Goldkante. An den Erwartungen anderer zu scheitern, ist brutal.

"Westpoint machte mich härter, als ich war."

Sein Vater hatte die Offiziersausbildung als Jahrgangsbester abgeschlossen. Der Sohn, James Arnold Horowitz, geboren in New York City, Einzelkind, hatte den Kopf voller Gedichte, als er den Erwartungen des Vaters entsprach und dessen Pfad ins Militär folgte. Der Westpoint-Drill war bestialisch. Erst im zweiten Jahr wurde es besser, hatte der junge Horowitz das Ethos verinnerlicht, das ihm ein Leben unter Männern in Schlafsälen, Kantinen und klaren Hierarchien aufzwang. Die Offiziersausbildung „machte mich härter, als ich war“, gestand er einmal.

Er lernte Flieger kennen, die zur Nasa gingen und die erste Astronauten-Generation bildeten. Seine Staffelkollegen Grissom und White verbrannten in der Kapsel der ersten Apollo-Mission. Buzz Aldrin setzte seinen Fuß als zweiter Mensch auf den Mond. Was Salter in einem Hotelzimmer in Rom, wo er das Ereignis auf dem Fernseher verfolgte, wie eine „Hinrichtung“ vorkam. Was hatte er dagegen zu bieten?

Noch als Pilot hatte er zu schreiben begonnen, verborgen vor den anderen, „privat“, wie er es nannte. Er fürchtete die Rolle des Sonderlings, der Bücher dem glühenden Gebrüll von Triebwerken vorzog. Unerkannt brachte er sein Debüt heraus. Daher der Name James Salter. Es handelte von einer Air-Force-Staffel in Korea und wurde verfilmt mit Robert Mitchum in der Hauptrolle. Die Filmrechte von 60.000 Dollar waren ein ziemlicher Batzen.

Dieser viel versprechende Auftakt brachte ihn dazu, die Militärkarriere hinter sich zu lassen. Was seine Freunde nicht begreifen konnten. Etwas so Erhebendes aufgeben? Aber Salter wusste, wie er später meinte, dass es eine Tätigkeit gab, die besser war, als in einem silber glänzenden Jet durch den Himmel zu donnern. Darüber zu schreiben würde seine Erfahrungen in Sternenstaub tauchen.

Das Filmhonorar investierte er in eine Bäckerei, die bald pleite ging. Er verkaufte Swimming Pools, machte einen gefeierten Dokumentarfilm über Football, lernte Filmleute wie Robert Redford kennen, mit dem er monatelang durch Europa reiste, und richtige Schriftsteller wie Irwin Shaw und Saul Bellow, führte Regie bei einem Film mit Charlotte Rampling. Aber nichts davon blieb.

Dinge sind in Salters Welt Dinge, statt Markenartikel

Er hatte erlebt, dass einige seines Geschwaders zu bewunderten Assen emporgestiegen waren, und andere, von denen man nach der Ausbildung mehr erwarten konnte, sich nur ordentlich schlugen. „Mein moralischer Apparat ist womöglich zu archaisch für die Gegenwart“, schloss er daraus.

Für ihn zählten Taten. Dass die Figuren ihre Probleme gedanklich lösen würden, kann man nicht behaupten. Salter lässt sie durch den Alltag driften, mehr in dem Verlangen nach Tatkraft als von ihr erfüllt. Seine oft keinem erkennbaren Plot folgenden Erzählungen vermeiden zeitliche Einordnungen. Es gibt Kühlschränke, Parkbänke und Drinks, aber was die Zivilisation auch an Markenprodukten in die Welt gesetzt haben mag, sie bleiben Dinge in Salters Kosmos, präzise beschriebene Dinge. Oft ist es nur ein einziger Satz, der den wie einen Kondensstreifen verwehenden Wortstrom metallisch einfärbt. Die Pointe ist zwischen Banalitäten verborgen, als denke sich Salter nichts dabei. Sein Erzählen hat etwas Konspiratives. Man kennt die Personen, und kennt sie doch nicht.

So wie die Offiziersgattin in „Verlorene Söhne“, der mäandernden Schilderung eines Jahrgangstreffens früherer Westpoint-Absolventen. Es gibt einen Empfang, einen Ball und ein Picknick, bevor sich die Gesellschaft wieder zerstreut. Dieselben alten Scherze und Hierarchien, die nichts mit Rangabzeichen zu tun haben. „Es war vorbei, aber niemand kehrte dem ganz den Rücken“, fasst Salter das Veteranen-Gefühl in einem seiner verdampfenden Sätze zusammen. Im Zentrum des Wiedersehens steht ein Mann namens Hilmo mit seiner unvergleichlichen Sorglosigkeit. Jeder will sich mit ihm unterhalten, sein glänzender Sommeranzug verrät den Erfolg. Obwohl Hilmo nur nebenbei in Salters elliptischer Beschreibung auftaucht, gehört ihm der Triumph. Denn er ist es, der jene begehrenswerte, von ihrem Mann vernachlässigte Offiziersgattin verführt, um die sich die Hauptfigur vergeblich bemüht.

Dass es in dieser Soldatengeschichte um einen Verrat unter Brüdern geht, einen Diebstahl, der sich in Normalität auflöst und unentdeckt bleibt, zeigt Salters literarische Brillanz. Er erzählt davon hinter dem Rücken seines Personals. Nur der Leser ist Salters Mitwisser.

Auf die Dauer deprimierend

Trotzdem ist Salters eiserner Blick für sich verflachende Lebenskurven deprimierend. Heldenhaft ist, wer ein Problem unerschrocken anzupacken, weiterzumachen im Stande ist - zu leben. „In dieser Welt tun das Frauen“, meinte Salter einmal. Sie sind in seinen Geschichten immer stärker. Am unerbittlichsten geht James Salter mit Schriftstellern um. In der Geschichte einer amourösen Dreiecksfantasie heißt es über einen verkrachten Autor: „Wenn er nicht groß war, so folgte er doch dem Pfad der Größe, was einer Katastrophe gleichkam.“

Im hohen Alter hatte sich Salter verziehen. Auch dass er seinen Verleger ein Jahrzehnt lang hatte warten lassen auf zwei Erzählungen, um die er eine erste geplante Sammlung vervollständigen wollte. Während seine Romane „Ein Spiel und ein Zeitvertreib“, „Lichtjahre“ und „Alles, was ist“ als Klassiker gelten, sind seine Erzählungen bislang nur das, womit er sich zwischendrin schwertat. Aber sie haben ihren eigenen, exquisiten Ton. Schneller geschnitten, dramaturgisch verwegener aufgebaut, voller Falltüren, die sich hinter einem schließen und selbst schlechte Liebhaber nicht lächerlich erscheinen lassen.

James Salter: Charisma. Sämtliche Stories. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Beatrice Howeg. Berlin Verlag 2016, 368 Seiten, 22 €.

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