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Kultur: Leuchte, mein Pfad, leuchte

Filmische Phantombilder des Terrorismus, des Gerechtigkeitssinns und der Liebe: John Malkovichs Regie-Debüt „Der Obrist und die Tänzerin“

Man kann einem flüchtigen Kater eine Meute kläffender Hunde hinterherjagen. Klüger aber ist es, einen anderen Kater auf seine Fährte zu setzen: Das macht weniger Lärm, und obendrein hat das aufspürende Tier eine Ahnung, wie so ein Katerhirn tickt. Ob die Rechnung im Tierreich so aufginge, sei dahingestellt, schließlich sind Katzen extrem asoziale Tiere. Für einen Polizeigeneral unter Erfolgsdruck aber mag schon die Hoffnung auf einen Treffer Grund sein, einen eher ungewöhnlichen Mann mit einer ungewöhnlich schwierigen Jagd zu betrauen: Polizeileutnant Agustin Rejas gilt als ebenso gewissenhafter wie integrer Kriminalist, doch auch als sehr, sehr eigensinnig.

Der Chef-Jäger: General Merino, Polizeichef eines ungenannten lateinamerikanischen Landes. Der Flüchtige: ein mysteriöser Terroristenführer. Die Aktionen seiner Anhänger sprechen eine vernehmbare, wenn auch schwer verständliche Sprache. Blutige Gewaltexplosionen überziehen das Land. Hundekadaver werden an Lichtmasten erhängt, ein Kant-Zitat um den Hals. Schulmädchen sprengen Politiker in die Luft, ein präpariertes Huhn einen ländlichen Markt. „Es lebe Präsident Ezekiel!“, heißt dabei immer wieder die Parole. Rejas nun soll Ezekiel finden. Privat gerät der Polizist bald auf den Grat zwischen seinem dahindümpelnden Familienleben und dem vorsichtigen Liebeswerben um die Tanzlehrerin der Tochter.

Der Film- und Bühnenschauspieler John Malkovich hat in letzter Zeit auf der Leinwand immer wieder den Regisseur gegeben, zuletzt in Manoel de Oliveiras „Je rentre à la maison“. Jetzt ist er, wie viele Darsteller vor ihm, auch real ins Regiefach gewechselt: Wenn man ihm glauben mag, war spontane Neigung zu Nicholas Shakespeares Roman „Der Obrist und die Tänzerin“ die Initialzündung. Dabei war er klug beraten, den Autor selbst mit dem Drehbuch zu beauftragen und sich so den Kopf für andere konzeptuelle Entscheidungen freizuhalten.

Fünf Jahre hat die Produktion gedauert – Jahre, die allerdings nicht aufgeregt vertan wurden wie so oft im Filmgeschäft. Das Ergebnis des konsequenten Arbeitens ist eine für das US-Kino verblüffende ästhetische Entschlossenheit. Das beginnt mit der Wahl des spanischen Kameramanns José Luis Alcaine, der Andenlandschaften und Hauptstadttreiben in ein klares ausgelaugtes Licht taucht; es endet bei der Entscheidung, die Rollen von – durchweg hervorragend agierenden – spanischsprachigen Darstellern auf Englisch sprechen zu lassen: So klingen sie, spekulierte Malkovich, wie Fremde im eigenen Land. Oder doch nur wie radebrechende Immigranten? Die radikalere Lösung, den Film komplett zu untertiteln, war kommerziell wohl zu riskant.

Auch wenn das Land der Handlung namentlich nicht spezifiziert wird: Es geht offenkundig um Peru – gebeutelt von den Terrorangriffen des postmaoistischen „Sendero Luminoso“ bis zur Verhaftung von dessen Commandante Abimael Guzman 1992. Ezekiel ist unschwer als Guzmans Alias auszumachen. Doch täte man Malkovichs Film Unrecht, wollte man ihn als Kommentar zur peruanische Zeitgeschichte lesen: Als solcher hätte er versagt. Sichtbar werden politische und soziale Realitäten nur in den Reflexen – als Phantombilder, die sich umso schärfer ins visuelle Gedächtnis brennen. Auch die Macht- und Interessenlagen im diktatorischen Apparat scheinen die Filmemacher nicht wirklich zu interessieren. Und die übliche kriminalistische Aufdeckungsdramaturgie wird eher zitiert als durchgeführt. Malkovich treibt die Lust am Spiel mit dem Indiz, nicht an der Aufklärung.

Der Terrorist. Der Bulle. Die Frau. Das könnte auch eine Dreiecksgeschichte sein, mit dem Eheunglück des Helden als sarkastische Dreingabe. Doch die anderen Figuren bleiben – wenn auch fein durchgezeichnete – Schatten, nur Rejas selbst gewinnt immer gewaltigere Präsenz. Javier Bardem gibt diese so simple wie komplexe Figur mit konzentrierter Kraft: Ein Mann, der zu aufrecht ist, um nicht zwischen allen Stühlen zu sitzen und zu unaufrichtig, sich nicht doch selbst zu betrügen. Es fehlt vielleicht gar nicht viel, und der Polizist wäre auf der anderen Seite gelandet.

Sein Weltbild ist geprägt von Gerechtigkeitssinn, genährt durch das Unrecht, mit dem die Oligarchie seiner Familie einmal die Existenzgrundlage nahm. Nur die Liebe wird dieses Rechtsgefühl zum Wanken bringen. Und ist es nicht der vermessene Anspruch auf eine höhere Existenzform von Gerechtigkeit, die die Liebe mit dem Terrorismus verbindet? Wenn Rejas die vielschichtigste Figur in diesem Film ist, so ist die Tänzerin Yolanda (Laura Morante) – „the dancer upstairs“, wie Buch und Film im Original heißen – die aufregendste. Yolanda führt ein Doppelleben, an dessen Widersprüchen sie im wirklichen Leben wohl längst zerbrochen wäre. Dass sie ein Kunstprodukt ist, verschaft ihr ein anderes Schicksal, nicht unbedingt ein besseres. Dafür ist Malkovich denn doch wohl zu sehr Realist.

Balazs, Kulturbrauerei, Neue Kant Kinos

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