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Kultur: Levitenlesen in A-Dur

Detlef Diederichsen bringt die Musik ins Haus der Kulturen der Welt – und öffnet es für Pop

Wenn ein Neu-Berliner als Treffpunkt das nobelste Café Unter den Linden vorschlägt, dort nach einem „schlichten Filterkaffee“ fragt und darauf verzichtet, als ihm beschieden wird, dass der hier nur auf Espresso-Basis angeboten wird, kann man sagen: Er kennt sich eben noch nicht gut aus. Oder aber: zu gut. Dem Italo-Chic dermaßen abgebrüht die kalte Schulter zu zeigen, kann ja nur bedeuten, dass die schwarze Plörre wieder in ist. Bei Detlef Diederichsen ist man sich nicht sicher. Ist er bescheiden? Oder ultrahip? Oder nimmt man da selbst was zu wichtig?

Der wohltuend zurückhaltende Mittvierziger, der mit seinem Schnauzer wie ein aus dem Script gestrichener Kollege von Starsky & Hutch aussieht, leitet seit Oktober 2006 die Musik- und Tanz-Sektion des Hauses der Kulturen der Welt. Er ist damit der erste Ur-Spexler, der es in eine Bundesinstitution geschafft hat. Als Bruder des Poptheoretikers Diedrich Diederichsen steht er im Sog eines Bescheidwissens, das sich um die „Spex“ als „Zeitschrift für Popkultur“ scharte. Da denkt man automatisch in Begriffen wie Diskurs, Pop, Kontext und an eine Musik, die so anstrengend ist wie das Reden darüber. Aber weit gefehlt. Zwar umgibt den Mann etwas leicht Distinguiertes, wenn er einem gegenüber Platz nimmt, sich zurücklehnt, die Beine seitlich übereinander schlägt und so verharrt, bis die Unterhaltung beendet ist. Beim Sprechen fixieren seine Augen einen entrückten Punkt. Aber das, was er sagt, ist nicht kompliziert. Als langjähriger Mitarbeiter des „Sounds“-Magazins weiß er sich verständlich zu machen. Zudem hat er für die „Süddeutsche“ und andere Zeitungen sowie mehrere Bücher geschrieben, unter anderem über Country Music.

An seiner Seite frühstückt an diesem Morgen übrigens Timo Blunck, ehemals Bassist bei Palais Schaumburg und die andere Hälfte der Zimmermänner. So heißt die Hamburger Band, die Diederichsen mit seinem Schulfreund 1980 auf dem Pausenhof gründete und die wegen ihres Versuchs, eine leichte deutsche Popmusik zu erfinden, Kultstatus genießt. Nach 23 Jahren veröffentlicht das Duo dieser Tage sein drittes Album, „Fortpflanzungssupermarkt“. Es gibt darauf ein Lied über Paderborn und eins über Bad Ems. Christiane Paul wird als „Diva des denkenden Mannes“ gefeiert (Blunck) und Sänger Diederichsen fragt: „Warum schmust du nicht mit meinem Gehirn?“ Es ist eine irritierend kühle, schwungvolle Platte, mit klugen Sätzen und schönen Melodien. Sogar eine mitreißende Revolutionshymne ist dabei: „Levitenlesen in A-Dur“.

Wie vor einem Vierteljahrhundert denken Blunck und Diederichsen öfters: „gute Single, totaler Hit“. Doch Popstar kann Detlef Diederichsen nur noch nebenbei werden. Für die geplante Tour muss er einen Urlaubsantrag einreichen. Denn nun tritt er erstmals in seiner neuen Funktion als konzeptioneller Event-Denker hervor. Unter dem Stichwort „Meine Kritik“ versammelt er im Haus der Kulturen der Welt für einen Abend so unterschiedliche Formationen wie Ton Steine Scherben Family, Kommando Stuhlgeist und K.I.Z. Das ist schon mal ein Coup. Denn seit sich die legendäre Revoluzzer-Familie um den früh verstorbenen Sänger Rio Reiser wieder für sporadische Konzerte zusammengetan hat, begleitet sie das Pathos uneingelöster Gesellschaftsutopien.

„Macht kaputt, was euch kaputt macht“, unter dieser Scherben-Parole agierte Ende der achtziger Jahre auch die Ostberliner Keller-Combo aus dem sogenannten „Magnetband-Untergrund“. Zum Kommando Stuhlgeist, das seine Musik nur in Kassetten-Form verbreitete, zählte Dichter und Kaffee-Burger-Betreiber Bert Papenfuß. Auch diese Formation hat Diederichsen ausgegraben, um zu illustrieren, dass Gesellschaftskritik im Medium der Popmusik über Worte hinausreicht. „Nicht immer reicht die Kraft des Wortes“, sagt er programmatisch, „um die Emotionalität des Aufbegehrens, die Leidenschaft des Nichteinverstandenseins zu vermitteln. Dann schlägt die Stunde der Musik.“ Weshalb mit K.I.Z. auch eine Kreuzberger „Ghetto-Boygroup“ eingeladen ist, die mit drastischironischem Polit-Hip-Hop die sozialen Verwahrlosungsmechanismen bloßstellt.

Damit gibt Diederichsen seine Visitenkarte ab – und beackert auch ein Jugendthema. In Hamburg, wo er aufwuchs, hat es diese Protestkultur nämlich nicht gegeben, als er sie gebraucht hätte. Und für den Diskursrock war er dann schon zu alt, als der sich Anfang der neunziger Jahre als „Hamburger Schule“ entfaltete. Das sei lange vorbei, sagt er, dass Jochen Distelmeyer und Dirk von Lowtzow sich am Tresen in der Mutter unterhielten und am nächsten Tag hatte jeder einen Song.

Auch das Haus der Kulturen der Welt ist plötzlich nicht mehr das, was es war: ein Multikulti-Gehäuse, das vom Glanz exotischer Kulturen zehrte. Vom Mariannenplatz, wo ein paar der stärksten Ton- Steine-Scherben-Songs zu Hause sind, bis in den Tiergarten sind es zwanzig Minuten. So widmet Diederichsen seinen Arbeitsplatz kurzerhand in Haus der Kulturen Berlins um. Natürlich weiß auch er, dass es der Hauptstadt an Konzertangeboten nicht mangelt. „Wir arbeiten nicht wie ein Rockclub“, wiegelt er ab und denkt an das komfortabel abgepolsterte Budget seines Hauses. Dessen Spielräume sollen Veranstaltungen ermöglichen, „die von denen, die wirtschaftlich kalkulieren müssen, nicht realisiert werden können“.

Wie ehrgeizig er dabei vorgeht, wird sich mit der Wiedereröffnung des zurzeit renovierungsbedingt gehemmten Weltkulturentempels im August zeigen. Der große Tusch ist dann New York gewidmet als Geburtsstätte des Pop, an der sich bis heute die Musikindustrie konzentriert. Broadway, Folk und Salsa bilden das musikalische Dreigestirn, mit dem Diederichsen die ständige Wechselwirkung von Emigrantenströmen, Kommerz und dem Fluchtpunkt eines imaginären Amerikas ausleuchtet. „Wogegen ich bin“, erklärt er: „repräsentativ zu sein.“

Für ihn, den ewigen Popfan, gleicht das Amt einer Wunschmaschine. Jetzt darf er sein Dasein als Familienvater mit der kindsköpfigen Verehrung all dessen verbinden, was Spaß macht. Er darf Bands wie Ton Steine Scherben, die Grupo Folclorico y Experimental und andere, die es eigentlich nicht mehr gibt, reaktivieren. Das ist, wie eine alte Plattensammlung zu durchstöbern. Doch statt nur Vinylscheiben aufzulegen, bittet er gleich die ganze Band auf die Bühne. Bei seiner eigenen Gruppe hat es ja auch geklappt. „Alles, was ich gern täte“, singt er da, „hast du schon getan.“

„Meine Kritik“: Ton Steine Scherben Family, Kommando Stuhlgeist und K.I.Z., am morgigen Freitag im Haus der Kulturen der Welt, 18 Uhr. Die Zimmermänner, „Fortpflanzungssupermarkt“ erscheint am 2. März bei Zickzack.

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