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Arzt und Schriftsteller. Max Mohr (1891 - 1937), hier 1934.

© Eric Schaal/Weidle Verlag

Liebe, Flucht, Untergang: „Frau ohne Reue“ erzählt von den zerplatzten Träumen Weimars

Als die Weimarer Republik endet: Max Mohr folgt in „Frau ohne Reue“ einer reuevollen Heldin durch eine düstere Zeit. Ein Unterhaltungsroman von Rang.

Die Not singt die schönsten, die allerfröhlichsten Lieder. An einem milden Märznachmittag baut sich ein Posaunist in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms auf, vor sich seine umgedrehte Mütze. Der Mann ist um die 40, sein abgetragener Anzug, „einstmals eine solide Bürgertracht, verriet eher den abgebauten Kaufmann als den Berufsmusiker“.

Etwas windschief spielt er „Im tiefen Keller sitz ich hier“, ein Trinklied, das den Rheinwein preist. Begabt ist er nicht, aber so, „wie er da stand und seine Mitwelt anblies“, strömt er „eine unverschämte Seligkeit aus".

Allerdings hasten die meisten Passanten ungerührt vorbei. Erst als der Bläser zur nächsten Nummer wechselt, der Liebesballade „Du, du liegst mir im Herzen“, beginnen vor allem die Damen, in ihren Taschen nach Kleingeld zu kramen. Auch Lina Gade wirft ein Almosen in den Hut des Bettelmusikanten. Sie ist die Heldin von Max Mohrs Roman „Frau ohne Reue“, der mit dieser Szene beginnt.

[Max Mohr: Frau ohne Reue. Roman. Weidle Verlag, Bonn 2020. 221 S., 14 €]

Das Buch konnte noch im Oktober 1933, lektoriert von Peter Suhrkamp, im S. Fischer Verlag herauskommen, obwohl sein Autor aus einer jüdischen Familie stammte und ein linksliberaler Freigeist war. Es ist ein Glück, dass dieser rasante Gesellschafts-, Liebes- und auch Kriminalroman nun wiederaufgelegt wurde.

In ihm steckt das Panorama einer bereits dem Untergang geweihten Zeit. Die Abenteuer der reue-, aber nicht herzlosen Lina finden vor dem Hintergrund der sozialen Situation in der Endphase der Weimarer Republik statt, als die Arbeitslosenzahl die Sechs-Millionen-Grenze überschritt.

Träume platzen, Karrieren scheitern

Neben Bettlern bevölkern auch 8-, 9-jährige Kinder die Reichshauptstadt, die den Schlager der Saison verkaufen, einen „kleinen bunten Hahn aus Blech, der verblüffend gut krähte, wenn man die Schnur am Schwanz zog“. Mohrs Blick gilt solchen Details, nicht der politischen Großwetterlage. Die Aufmärsche gestiefelter Nazis und ihre Straßenkämpfe mit den Kommunisten, Showdown einer Demokratie vor ihrem Kollaps, fehlen.

Wenn Karrieren scheitern und Träume platzen, kann es hilfreich sein, sich in Ironie zu flüchten. Paul Fenn, ein Professor, der in den USA gelehrt hat, jetzt aber ohne Job dasteht, behält im neuen Leben einfach die Namen seines alten bei. So ist die Spelunke, in der man einen Suppentopf mit Rindfleisch für 50 Pfennig bekommt, für ihn das „Savoy“; die Kellerkaschemme, die preiswerten Korn anbietet, nennt er „Ritz“.

Der Wissenschaftler, der sich als „journalistischer Landstreicher“ durchschlagen möchte und eine Korrespondentenstelle in China in Aussicht hat, muss dafür bei einem Bankier in Halensee vorsprechen, der mit seinen Millionen eine Zeitung finanziert. Er ist Linas Ehemann.

Statt mit einem Arbeitsvertrag verlässt Fenn die Villa mit der Kapitalistengattin. Sie wollte schon länger aus ihrem „wie in Watte gepackten“ Luxusdasein ausbüxen und lässt dafür ihre kleine Tochter zurück.

Ein Jahr voller Seligkeit

Es beginnt eine Liebe auf der Flucht, die über London, San Francisco und Hongkong bis nach Tokio führt. Nach einem Jahr „voller Seligkeit“ sind der „Gentlemantramp“ und seine Freundin pleite. Auf einem Fischdampfer namens „Rossini“, der sie nach Europa zurückbringt, lassen Lina und Paul sich vom steinalten Kapitän trauen. Zurück in Berlin entführen die Frischvermählten Linas Tochter in einer filmreifen Aktion und fahren mit ihr nach Tirol.

Auf einem abgelegenen Almhof in 1500 Meter Höhe, den Lina von ihrem Erbe erworben hat, macht die Handlung vorerst Halt. In der Einöde rauscht ein neuer Typus Mann in ihr Leben: ein zehn Jahre jüngerer Skilehrer, der mit seinen wie holzgeschnitzten Zügen bestens in die kommenden herrischen Zeiten passt.

Die Frauen treiben die Dinge voran

In „Frau ohne Reue“ passiert auf zehn Seiten mehr als in ziegeldicken Schmökern. Mohr erzählt in einem spöttischen Parlando, aus dem immer wieder treffliche Sprachbilder und Aphorismen ragen.

Wenn er Fenns Begegnung mit einem Freund beschreibt, fasst er in beider Missmut die bedrückende Lage in der Weltwirtschaftskrise zusammen: „Ein Reibeisen aus den Urzeiten der Menschen kratzte auf ihren Seelen herum.“ Das Pingpong der Dialoge erinnert an Vicki Baums Gesellschaftsromane, der übermütige Tonfall lässt an die ebenfalls gerade wiederentdeckte Schriftstellerin Lili Grün denken.

Auch bei Mohr sind es die Frauen, die die Dinge vorantreiben, während die Männer in Passivität verharren. Lina Gade verkörpert das selbstbewusste Rollenbild der Neuen Frau der zwanziger Jahre.

Der Roman ist autobiografisch grundiert, wie Stefan Weidle im Nachwort schreibt. Wie Fenn war Mohr ein unruhiger Geist. Als Sohn eines Malzfabrikanten, 1891 in Würzburg geboren, brach er 1913 während seines Medizinstudiums zu einer ersten von drei Orientreisen auf.

Ein Unterhaltungsroman von Rang

Nach dem Ersten Weltkrieg, der für ihn in englischer Gefangenschaft endete, führte Mohr eine Doppelexistenz als Arzt und Schriftsteller. Mit Stücken wie der Komödie „Improvisationen im Juni“ etablierte Mohr sich als einer der erfolgreichsten Theaterautoren der Weimarer Republik.

Hinter dem Bergrefugium des Romans steckt der Löblhof in Rottach am Tegernsee, den Mohr mit Frau und Tochter bewohnte. Als er 1935 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen wurde, was einem Berufsverbot gleichkam, war Mohr schon nach Shanghai geflohen, wo er als Arzt praktizierte. Er starb 1937 mit 46 Jahren an einem Herzinfarkt.

„Frau ohne Reue“, ein Unterhaltungsroman von Rang, hat es verdient, wieder gelesen zu werden. In Mohrs Geburtsstadt tut man das im Rahmen der Aktion „Würzburg liest ein Buch“ bis Ende des Jahres. Wegen der Coronakrise wurden nun etliche Veranstaltungen abgesagt.

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