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Kultur: Liebe in Zeitlupe

Der chinesische Film „Summer Palace“ beim Berliner Festival „Around the world in 14 films“

Diese Kamera scheint zu schweben. Sie schweift über das Gesicht der jungen Frau. Umtanzt es traumwandlerisch. Die Frau sitzt am Rand eines leeren Schwimmbeckens. Rotes Licht durchleuchtet ihr Haar, weiße Samen von blühenden Bäumen gleiten in Zeitlupe durch die Luft. Doch es liegt eine Härte in ihren Augen, die verbitterte Abgeklärtheit einer enttäuschten Erwachsenen.

Lou Yes leidenschaftliches und intimes Epos „Summer Palace“ erzählt, wie eine junge Frau auf der verzweifelten Suche nach Liebe ist. Yu Hong, gerade 18 Jahre alt, beginnt ihr Studium an der Peking-Universität. Zu einem Zeitpunkt, da die chinesische Studentenbewegung von einer euphorischen Aufbruchsstimmung erfüllt ist. Durch ihre Freundin Li Ti lernt Yu Hong (Hao Lei) den Mitstudenten Wei Zhou (Guo Xiaodong) kennen. Sie verlieben sich, fast schmerzvoll heftig. Doch nach einem Liebesakt, aufgewühlt atmend, flüstert Yu Hong: „Ich möchte, das wir uns trennen, weil ich dich nicht verlassen kann.“ Noch bleibt dieser Satz folgenlos.

Ein Jahr später aber, als die Studentenunruhen auf dem Platz des Himmlischen Friedens brutal niedergeschlagen werden, zerbricht die Beziehung zwischen Yu Hong und Wei Zhou endgültig. Sie kann die emotionale Nähe nicht ertragen. Yu Hong entwickelt sich zur einsamen Drifterin, die ihre innere Leere mit schnellem, intensiven Sex stillt. Und Wei Zhou zieht rastlos, mit zerbrochenem Herzen nach Berlin.

Eine strenge Erzählökonomie interessiert Regisseur Lou Ye nicht. So wie seine Figuren rastlos suchend durch ihr Leben ziehen, lässt er seine Kamera umherschweifen – in langsamen Bewegungen ertastet sie die Umgebung der Protagonisten. Passend dazu durchzieht eine zeitlupenhafte Melancholie diese aufwühlend erzählte Liebesgeschichte.

Doch hat dieser großartige Film einen bitteren Beigeschmack: „Summer Palace“ wurde von den chinesischen Kulturbehörden verboten. Lou Ye bekam fünf Jahre Berufsverbot. Auch im Ausland darf „Summer Palace“ nicht gezeigt werden. Ein Filmfestival in Serbien nahm den Film unlängst aus dem Programm, weil die chinesische Botschaft entsprechende Anweisungen erteilte. Das Filmfestival in Cannes hielt sich nicht an das Verbot. Dort wurde Lou Yes Film dieses Jahr ausgiebig gefeiert.

Das Festival „Around the world in 14 Films“ zeigte „Summer Palace“ am Freitagabend im Babylon Kino in Anwesenheit des Regisseurs. Festivalleiter Bernhard Karl nannte danach China das „viel versprechendste Filmland der Welt“. Lou Ye hat übrigens in seiner Heimat gerade eine eigene Produktionsfirma gegründet.

Der Film läuft am Sonntag um 11 Uhr in einer Matinee im Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz, das Festival „Around the world in 14 films“ geht bis 9. Dezember.

Hendrik Lakeberg

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